Eine "gute Frau" und "gehorsame Kinder" in diesem Leben
zu haben, darauf hoffte jeder Mann im alten Ägypten. Das klingt nach guter,
alter patriarchalischer Tradition, nach Unterordnung von Frauen und Kindern
unter männliche Kommandogewalt. Doch im alten Ägypten ordneten sich
allenfalls die Kinder unter, Frauen dagegen besaßen ungewöhnlich
viele Rechte. Sie waren juristische Personen, konnten über ihr Vermögen
selbständig verfügen und sich scheiden lassen. Im Hause, ihrem angestammten
Wirkungsbereich, galten ihre Worte soviel wie die der Männer. Verkehrte
Welt, dachten die Griechen, die ihre Frauen lieber wegsperrten. Aber auch in
der Neuzeit haben Frauen vergleichbare Rechte erst in unserem Jahrhundert wieder
erreicht.
Das alte Ägypten - ein Paradies der Gleichberechtigung? Doch nicht ganz!
Für die Menschen der damaligen Zeit waren unterschiedliche Aufgaben von
Männern und Frauen im Leben eine selbstverständlich anerkannte, gottgewollte
Tatsache. Man hat aber die Lebenswelt von Frauen nicht minder geachtet und das
zeichnet das alte Ägypten vor allen anderen Kulturen aus.
Die Stellung der Frau Begriffe sind zeitgebunden Mann - Frau - Mensch Worte der Weisen Familie Liebe und Sexualität Die Ehe Kinder Schwangerschaft und Geburt Mutterschaft Erziehung Über den Tod hinaus ... |
Der "Vorsteher der Maurer" Kaemheset mit seiner Frau und seinem Sohn Familiengruppe, AR, 5. Dyn., Äg. Museum Kairo |
"Nimm dir eine Frau, solange du jung bist, sie soll dir einen Sohn bringen und Kinder bekommen, solange du noch ein junger Mann bist. Du sollst nicht deine Frau in ihrem Hause beaufsichtigen, wenn du weißt, daß sie tüchtig ist. Sage nicht: Wo ist denn das? Bring es her!' wenn sie es an die richtige Stelle getan hat. Laß sie dein Auge beobachten und schweige, dann wirst du ihre Geschicklichkeit kennenlernen. Welche Freude, wenn sie dann deine Hand empfängt! Jeder, der eine Familie gründen will, muß sein hitziges Temperament zügeln. So geh also nicht immer hinter der Frau her und vermeide, daß sie dich deswegen tadelt."
So riet der ägyptische Weisheitslehrer Ani um 1450 v. Chr. seinen Zeitgenossen.
Für Frauen im Alten Ägypten war die Familie der anerkannte und fast
ausschließliche Wirkungsbereich. Ob und inwieweit es Alternativen in der
Lebensgestaltung für sie gab, wissen wir nicht. Unsere Kenntnisse über
das Leben von Frauen und Familien sind begrenzter als man zunächst annehmen
könnte. Die erhaltenen Aussagen stammen sämtlich aus der Oberschicht,
in der die Schriftkundigen zu Hause waren. Über das Leben von Bauernfamilien
dagegen können wir nur spekulieren. Auch in anderer Hinsicht sind unsere
Quellen einseitig. Bei den Chronisten handelt es sich ausnahmslos um Männer.
Es ist keine Aussage einer Frau erhalten, die ihr Leben beschreibt oder ihre
Ansichten kundtut.
Über die Rolle, die ägyptische Frauen in der Gesellschaft spielten,
gab es zu allen Zeiten uneinheitliche Meinungen. Die erhaltenen Zeugnisse wurden
oft vom jeweiligen Zeitstandpunkt verzerrt und daher falsch interpretiert. So
hat sich Herodot , der "Vater der Geschichte", um 450 v. Chr. über
Ägyptens "berufstätige" Frauen auf dem Markt gewundert und
ihre mit häuslichen Tätigkeiten beschäftigten Männer belächelt.
Der Geschichtsschreiber Diodor entrüstete sich im ersten Jahrhundert vor
Christus über Eheurkunden, in denen "die Männer zustimmen müssen,
dem Weib in allem zu gehorchen."
Heute lesen wir in wissenschaftlichen Werken, daß für Ägypterinnen Entfaltungsmöglichkeiten außerhalb der Familie gefehlt haben. Verdienstmöglichkeiten waren kaum vorhanden, Frauen waren wirtschaftlich und sozial von Männern abhängig, Polygamie war nicht verboten. War auch im alten Ägypten der Platz der Frau da, wo er in der Geschichte fast immer gewesen ist, nämlich in Unterordnung und Abhängigkeit?
Die rechtliche Stellung der altägyptischen Frau war erstaunlich günstig.
Erst im 20. Jahrhundert haben europäische Frauen wieder Vergleichbares
erreicht.
Frauen waren im Alten Ägypten juristische Personen, die selbständig
ihre Rechte im öffentlichen Leben oder vor Gericht wahrnehmen konnten.
Kein Vergleich zu den Römerinnen oder den Griechinnen, die dafür einen
Vormund benötigten! Ägypterinnen verfügten über Besitz,
auch Landbesitz, den sie erben, vererben und mit dem sie nach Belieben verfahren
konnten, ohne daß ihnen ein Mann dreinreden durfte. Die Ehescheidung konnte
auch eine Frau anstreben, und sie verlor dabei nicht das Anrecht auf ihre Kinder.
Auf dem heutigen Buchmarkt fehlt es daher nicht an Autoren, die geradezu ins Schwärmen geraten über die "Gleichberechtigung" der ägyptischen Frau. Sie verwenden Begriffe aus der heutigen Frauenbewegung, erzeugen neuzeitliche Assoziationsketten und begeistern sich dafür, daß es wenigstens eine große alte Kultur gegeben habe, in der Frauen nicht unterdrückt waren. War das Alte Ägypten die Alibikultur in der Geschichte, das verlorene Paradies der Gleichberechtigung?
Das, was wir mit Begriffen wie "Gleichberechtigung" oder "Gleichrangigkeit" verbinden, ist zeitgebunden. Genauso zeitgebunden ist die Beurteilung einzelner Tätigkeiten oder der Wirkungsbereiche, die den Geschlechtern zugewiesen waren. Ägyptische Frauen arbeiteten hauptsächlich in Haus, Hof und Familie. Mit Sicherheit haben sie ihre Lebensumstände nicht in Frage gestellt, sondern die Verhältnisse so akzeptiert, wie sie waren. Und das umso mehr, als häusliche Beschäftigung in der Regel nicht minder geachtet wurde als besoldete Tätigkeiten außerhalb des Hauses. Das alte Ägypten war der Prototyp einer "gebundenen Gesellschaft", eines sozialen Gefüges, das allen, Männern und Frauen, ihren Platz in der Gesellschaft zuwies. Anpassung an vorgegebene Rollenfunktionen war selbstverständlich, weil gottgegeben. Ein eigener Weg, individuelle Lebensgestaltung, wurden nicht als Wert angesehen. Leben, auch das Leben in Alltag und Familie, hatte sich nach den Vorgaben der Ma'at , der Göttlichen Ordnung, zu richten, der allem zugrundeliegenden Gerechtigkeit. Das ideologisch-religiöse Konzept der Ma'at weist weit über das Diesseits hinaus und verbindet alle Bereiche der Wirklichkeit, es verknüpft das Hier mit dem Dort, das irdische Leben mit dem Jenseits.
Teil der göttlichen Vorgabe ist auch, daß Gegensätze nur scheinbar
sind. Sie sind Teil eines Ganzen, das sich immer in Zweiheit auflösen kann.
So umfaßt die Wirklichkeit zum Beispiel nicht nur alles was ist, sondern
auch das, was nicht ist. Dieses "duale", komplementäre Denken
betrifft auch das Verhältnis Mann - Frau. Männer und Frauen ergänzen
sich in ihrem Wesen und in ihren Aufgaben. Nichts davon ist auswechselbar. Nur
beides zusammen ermöglicht ein Leben, das der Ma'at entspricht. Eine zumindest
theoretische Gleichwertigkeit ist damit vorprogrammiert, eine ideologische Diskriminierung
der Frau nicht festzustellen. Ein Indiz dafür ist die Sprache. Es gibt
im Altägyptischen zwei verschiedene Wörter für die Begriffe "Mann"
und "Mensch", ganz im Gegensatz zur englischen oder französischen
Sprache. Die "Menschen" werden in der Schrift mit den beiden Hieroglyphen
für "Mann" und "Frau" geschrieben.
Ob die Realität der schönen Idee auch immer entsprochen hat, darf
bezweifelt werden. Nicht nur, daß der ägyptische Staat, die öffentliche
Verwaltung eine reine Männerdomäne war, auch im privaten Bereich stoßen
wir immer wieder auf Zurückhaltung, wenn es um die Entfaltung von Frauen
ging. Besonderes Mißtrauen hegte man gegenüber weiblicher Kommandogewalt.
"Wenn du angesehen bist, gründe einen Hausstand und liebe deine Frau im Hause, wie es sich gehört. Fülle ihren Leib und bekleide ihren Rücken; das Heilmittel für ihre Glieder ist das Salböl. Erfreue ihr Herz, solange sie lebt; sie ist ein guter Acker für ihren Herrn." Gütig empfiehlt dies Ptahhotep , ein Weisheitslehrer um 2400 v. Chr. Dann allerdings ändert sich der Ton: "Du sollst aber nicht die Befehlsgewalt trennen, lasse sie fern sein von der Macht und beschränke sie, denn ihr Sturm ist ihr Tun, wenn sie sieht. Glätte ihr Herz für das, was dir geschieht, dann hältst du sie auf Dauer in deinem Hause."
Argwohn und letztlich Furcht vor Frauen bringt ein anderer zum Ausdruck, wenn er feststellt: "Eine Frau belehren, heißt einen Sandsack füllen, der an der Seite aufgeschlitzt ist."
Für gewöhnlich galt innerhalb der Familie das Wort der Frau genausoviel
wie das ihres Mannes.
Um 1000 v. Chr. revidierte der Offizier Schedsu-Chons die Entlassung seines
nubischen Verwalters in einem Brief an diesen Untergebenen. Offensichtlich hatte
seine Gemahlin
dagegen protestiert."Ich teile dir mit, daß ich nach Theben zurückgekehrt
bin. Nun hatte ich dir gesagt: Ich werde dich nicht mehr wirtschaften lassen.
Doch siehe, meine Ehefrau, die Herrin meines Hauses, hat mir gesagt: Nimm dem
Pächter den Acker nicht weg. Überweise ihn ihm wieder, laß ihn
ihn weiter bewirtschaften. Wenn nun mein Brief zu dir gelangt, so nimm dich
des Ackers an und vernachlässige ihn nicht..."
In der darstellenden Kunst werden Frauen durchweg als gleichrangig abgebildet, ihre gleiche Größe suggeriert Ebenbürtigkeit. Oft sehen wir den Statuengruppen Frauen, die den Arm um ihren Mann gelegt hat. Dieser Gestus des Umgreifens weist auf ihre Bedeutung im häuslichen Bereich hin. Die traditionelle Farbgebung der Statuen, ein dunkles Braun für die Haut des Mannes und das Gelb für die der Frau charakterisiert die Wirkungsbereiche der Geschlechter.
Als Vorstand eines Haushalts wurde der Mann angesehen. Aus der Zeit der 20. Dynastie, also um 1100 v. Chr., ist ein Auszug aus dem Stadtregister von Theben erhalten, der dies beweist. 182 Haushalte sind aufgeführt mit Namen und Beruf des Hausherrn, oft auch dem Namen seines Vaters. Aus derselben Zeit stammt ein Fragment mit Daten einer Einwohnerzählung aus der Handwerkersiedlung Deir el-Medina. Hier wird jedem Haus die ganze Familie zugewiesen, die darin lebte: die Kinder, der Vater und die Mutter. Bei den Eltern wird jeweils die männliche und weibliche Abstammung angegeben.
Die Großfamilie, die Ahnen, die etwa für Römer so wichtig gewesen sind, zählen in Ägypten wenig. Die ägyptische Sprache kennt weder eine Bezeichnung für Großeltern, noch für Cousins, Tanten oder Neffen, ja, es gibt nicht einmal ein Wort für Familie. Nur die Angehörigen der Kleinstfamilie können überhaupt genannt werden: Vater, Mutter, Sohn, Tochter, sowie Bruder und Schwester. Die beiden letzten Bezeichnungen haben zu viel Verwirrung in der Analyse ägyptischer Familienbeziehungen geführt. "Bruder" und "Schwester" nannten sich nämlich nicht nur Geschwister, sondern auch Liebende. Das hat die irrige Vorstellung hervorgerufen, daß Ägypter oft ihre Schwestern heirateten. Geschwisterehen hat es gelegentlich in der königlichen Familie gegeben, nicht aber im einfachen Volk. Indem der König seine Schwester ehelichte, ahmte er die Götter nach, etwa Osiris, der seine Schwester Isis zur Gemahlin hatte. Mit der Geschwisterehe konnte man die göttliche Seite des Königtums hervorheben.
Im Normalfall aber kamen die ägyptische Brautleute aus unterschiedlichen Familien. Viele Ehen wurden zwischen Bräutigam und Brauteltern abgesprochen. Besonders die Rolle von Müttern wird hier betont. Als besonders wichtig empfand man die Liebe zwischen den jungen Leuten. Heiraten wollte man aus Liebe; von diesem Wunsch zeugt die umfangreiche, poetische Liebesliteratur der Ägypter.
"Nun sehe ich, die Geliebte ist gekommen. Ein Mädchen sagt: |
Zeichnung einer Frau auf einem Ostrakon gefunden im Tal der Königinnen, 19. Dyn. Turin, Museo Egizio |
In einem anrührenden Brief sehnt sich ein Mädchen nach ihrem Freund: "Die Sängerin des Amun, Iset?Nofret spricht: Wie geht es dir? Wie sehr sehne ich mich danach, dich zu sehen. Meine Augen sind so groß wie Memphis, weil ich danach hungere, dich zu sehen! Und ich sage hier Thot und allen Göttern vom Hause des Thot: Mögest du gesund sein! Mögest du leben! Mögest du wegen dem, was du tust gelobt werden!..."
In punkto Sexualität war man tolerant und freizügig, allerdings soll diese innerhalb der Ehe praktiziert werden. Wenn das Paar damit nicht warten wollte, so sah man das nicht als Katastrophe an. Jungfräulichkeit war in Ägypten kein Wert an sich. Die ägyptische Sprache kennt keinen Begriff für weibliche Unberührtheit. Eindeutig aber ist, daß Liebe und Sexualität auf die Gründung einer Familie abzielen. In einem Liebeslied heißt es: "Schöner, du, mein Herz ist darauf aus und bereit, die Dinge zu besorgen als deine Hausfrau, damit dein Arm auf meinem Arm liegt."
Wie
eine Ehe begründet wurde, wissen wir nicht. Die Ehe ist weder religiös
noch juristisch institutionalisiert, sondern schlicht eine soziale Tatsache.
Vermutlich kam sie zustande, wenn die jungen Leute einen gemeinsamen Hausstand
gründeten. Durch das Fehlen von staatlicher oder religiöser Anerkennung
gab es auch keine wie auch immer gearteten Vorschriften. Es galten die allgemeinen
Moralnormen, die beispielsweise Ehebruch verurteilten und zwar für den
Mann ebenso wie für die Frau.
"Nimm dich in Acht vor einer Frau, die eine Fremde ist, die in
ihrer Stadt nicht bekannt ist; Schau sie nicht an, wenn sie vorübergeht,
erkenne sie nicht fleischlich. Ein tiefes Wasser, dessen Lauf unbekannt ist,
so ist eine Frau fern von ihrem Ehemann.
Ich bin schön!' sagt sie dir täglich, wenn sie keine Zeugen
hat; sie ist bereit, dich zu verzaubern, ein großes Verbrechen, wenn es
bekannt wird."
Familie des Vorarbeiters Inherchau aus Deir el-Medina
Allerdings scheinen die Strafen für den Ehebruch einer Frau härter
gewesen zu sein als für den eines Mannes. Ihr wurde Brandmarkung angedroht
oder gar das Krokodil, während er nur Stockschläge zu fürchten
hatte. Wollte er seinen Fehltritt verheimlichen, so konnt ihm das nur für
das Diesseits gelingen. Vor den Totenrichtern würde sein Vergehen unweigerlich
ans Licht kommen. Dann nämlich würde er, dem 125. Spruch des Totenbuchs
entsprechend, schwören müssen: "Ich habe nicht mit der Frau
eines anderen geschlafen!"
Innerhalb der Ehe genoß die Frau eine für antike Kulturen ungewöhnliche Rechtssicherheit. Man erwartete von einem Ehemann, daß er für seine Frau sorgte und ihr wohltat. War das nicht der Fall, konnte die Frau sich wehren. Aus der Zeit der 20. Dynastie ist ein Fall belegt, wo eine Frau ihren Ehemann wegen wiederholter Mißhandlung vor Gericht brachte. Leider ist nicht überliefert, wie der Fall ausgegangen ist. Aus der ägyptischen Spätzeit sind Eheverträge erhalten, die erstaunlich fortschrittliche Paragraphen zur sozialen und finanziellen Absicherung der Frau enthalten.
"Es sagte der in Ägypten geborene Hor-em-heb zur Frau Ta-is : Ich habe dich zur Ehefrau gemacht. Als deine Frauengabe habe ich dir zwei Silberlinge gegeben. Entlasse ich dich als Ehefrau, und hasse ich dich, und ziehe ich dir eine andere Frau als Ehefrau vor, so gebe ich dir ein Drittel von all und jedem, was sein wird zwischen dir und mir fürderhin. Die Kinder, die du mir geboren hast und die du mir noch gebären wirst, sind die Herren von all und jedem, was mir gehört und was ich noch erwerben werde. Ich soll keinen Eid gegen dich wegen deiner Frauensachen geben können, die oben beschrieben sind, sagend: Nein, du hast sie nicht mit dir in mein Haus gebracht. Wenn ich dich als Ehefrau entlassen werde, oder wenn du zu gehen beliebst, so gebe ich dir die Frauensachen oder ihren Wert in Silber. Mein ist ihre Verwahrung."
So mancher besorgte Vater wollte das künftige Eheleben seiner Tochter von vorneherein absichern. Einen Eid sollte der Schwiegersohn schwören, daß er das Mädchen nie verstoßen würde. "Sowahr Amun dauert, sowahr der Herrscher dauert! Wenn ich zum Verlassen der Tochter des Tener-mentju künftig umkehre, werde ich 100 Hieben unterliegen und all den Zugewinn, den ich gemeinsam mit ihr erwerbe, verlieren."
Das oberste Ziel jeder Ehe waren Nachkommen. Die alten Ägypter liebten
Kinder sehr. Undenkbar, daß man einzelne Kinder nicht haben wollte, aussetzte
oder tötete, wie es bei Griechen und Römern nicht unüblich war.
Man lebt in seinen Kindern fort, das war für Ägypter eherne Wahrheit.
In einer Inschrift heißt es: "Denn jeder Edle, der den Menschen
Gutes tun wird, während sein Sohn im Haus seines Vaters bleibt, sein Andenken
ist schön in der Stadt, seine Statue wird von den Kindern seines Hauses
verklärt und in der Prozession getragen."
Die eigenen Kinder sind es, die dereinst die Totenopfer und Kulthandlungen
durchführen und so die Wiederbelebung des Verstorbenen im Jenseits befördern
würden. Kinderlosigkeit sah man als trauriges Schicksal an.
Tief deprimiert klagte ein Mann, dem Kinder versagt geblieben waren: "Ich
hatte keinen Nachfolger, um mir die Totengebete zu sagen am Tor des Grabes,
der mir Wasser spendet, wie es der Sohn für seinen Vater tut.
Ich war ein Edler in meiner Stadt und hatte keine Tochter, die um mich klagte
am Tag der jungen Gewächse, wenn man trauert."
Was es bedeutete, keine Kinder zu haben, drückte anderer so aus: "... denn ein Mann dem kein Kind geboren ist, er ist wie einer, der gar nicht gewesen ist, er ist gar nicht geboren. Seines Namens wird nicht gedacht, sein Name wird nicht ausgesprochen, so wie der von jemandem, der gar nicht gewesen ist."
Selten kam es vor, daß jemand keine Kinder haben wollte. Wurde solches
ruchbar, galt der oder die Betreffende bestenfalls als verschroben, schlimmstenfalls
als charakterlos oder geizig.
Im 12. Jahrhundert vor Chr. wurde ein Schreiber in einem Brief heftig getadelt:
"Was bedeutet es, daß du dich in solch schlechter Stimmung befindest
wie jetzt, daß niemandes Rede deine Ohren erreicht, als Folge deines aufgeblasenen
Ichs? Du bist keine Mann, weil du nicht in der Lage bist, deine Frau zu schwängern
wie deine Mitmänner.
Eine weitere Sache: du bist außerordentlich geizig. Du gibst niemandem
etwas. Jemand, der keine Kinder hat, adoptiert stattdessen einen Waisenjungen,
um ihn aufzuziehen. Es ist dann dessen Pflicht, Wasser auf deine Hände
zu gießen als dein ältester Sohn."
Unfreiwillige Kinderlosigkeit durfte aber kein Grund sein, eine Frau zu verstoßen. Die eheliche Lebensgemeinschaft ist alles in allem doch noch wichtiger als Nachkommenschaft, findet Anch-scheschonqi , der Verfasser einer Lebenslehre in der Spätzeit: "Verlasse deine Frau nicht, nur weil sie kein Kind empfangen hat."
Unzählige Dankgebete stiegen zu den Göttern auf, wenn eine Frau feststellte,
daß sie schwanger war. Ob sie ein Mädchen oder einen Jungen erwartete,
spielte eine geringere Rolle als in anderen antiken Gesellschaften. Ein Sohn
war zwar vorzuziehen, denn er würde in erster Linie für die späteren
Totenopfer verantwortlich sein. Aber auch Mädchen waren willkommen.
"Die Göttin adelte mich mit einem Sohn und erhöhte mich mit
einer Tochter", heißt es in einer Inschrift. Doch wissen wollte
es die Schwangere schon, welches Geschlecht ihr Kind hatte. Es gab ziemlich
sichere Methoden, dies schon während der Schwangerschaft herauszubekommen.
In einem medizinischen Papyrus lesen wir: "Ein Feststellen, daß
eine Frau gebiert und daß sie nicht gebiert. Die Frau befeuchtet Gerste
und Emmerweizen mit ihrem Harn jeden Tag. ... Wenn die Gerste wächst, bedeutet
es ein männliches Kind. Wenn der Emmerweizen wächst, bedeutet es ein
weibliches Kind. Wenn beide nicht wachsen, so gebiert sie nicht."
Für die Geburt errichtete man eine Wochenlaube, in der die Frau auf zwei Ziegelsteinen hockend, entbunden wurde. Vermutlich hat die junge Mutter hier die ersten Tage mit ihrem Kind verbracht, bevor sie nach Reinigungszeremonien, über die wir nur Vermutungen anstellen können, wieder in die Gemeinschaft zurückkehrte.
Keine Lebenszeit war für den Ägypter so gefährlich wie die frühe Kindheit. Die Säuglingssterblichkeit war hoch, und man trotzte den Gefahren mit einer Unzahl von Amuletten und Gebeten. Eine Mutter flehte um den Schutz der Göttin Isis : "Meine Hände liegen auf diesem Kind und die Hände der Isis liegen auf ihm, wie sie ihre Hände legte auf ihren Sohn Horus ."
Dennoch mußten viele Familien ihre Neugeborenen allzu bald wieder hergeben.
Auf einer Stele der Spätzeit ließen verwaiste Eltern ihre kleine
Tochter Isis-em-ach-it klagen:
"Das Leben wurde mir vermindert, als ich noch ein unschuldiges Kind
war.
Ich sage, was mir geschah. Ich schlafe im Wüstental als ein Kind.
Ich dürste, obwohl Wasser neben mir ist. Ich wurde aus der Kindheit verdrängt,
ehe es Zeit dazu war. Ich kehrte meinem Hause den Rücken als ein Kleines,
ohne daß ich mich am Leben gesättigt hatte.
Die Dunkelheit, die Abscheu eines Kindes ist, kam über mich, als noch die
Brust in meinem Munde war."
"Ammenflasche", 18. Dyn., Berlin, Äg. Museum
Es ist anzunehmen, daß Frauen aller Gesellschaftsschichten über viele Jahre hin schwanger gewesen sind. Je mehr Kinder in einer Familie zur Welt kamen, desto größer war die Aussicht, daß einige davon das Erwachsenenalter erreichten. Der weibliche Lebensmittelpunkt war in den allermeisten Fällen die Nachkommenschaft, und dem Ideal nach wurden Mütter in hohen Ehren gehalten.
Die Leistung der Mütter nie zu vergessen, riet auch der Schreiber Ani in seiner Lebenslehre: "Verdopple das Brot, das dir deine Mutter gab. Trage sie, wie sie dich trug. Sie hatte Mühe und Last mit dir. Sie endeten nicht, als du geboren wurdest nach deinen Monaten. Ihr Nacken trug dich. Ihre Brust war in deinem Mund drei Jahre lang. Sie hegte keinen Ekel vor deinem Kot und sagte nicht aus Ekel Was soll ich tun?' Sie brachte dich zur Schule. Nachdem du zum Schreiben erzogen warst, sorgte sie täglich für dich mit Brot und Bier aus ihrem Hause. ..."
Für gewöhnlich oblag den Müttern die Erziehung der Kleinkinder. Drei Jahre lang pflegten sie ihre Kinder zu stillen, wenn ihnen nicht Ammen dabei halfen. Für die Frau aus der Oberschicht standen Dienerinnen in großer Zahl zur Verfügung, die ihr in allen Angelegenheiten zur Hand ging. Sobald einige größere Kinder vorhanden waren, mußten sie sowohl bei der Arbeit als auch beim Aufpassen auf jüngere Geschwister mithelfen.
In der Organisation der Aufgaben unter der Geschwistern einer Familie erteilte
auch der Vater Anweisungen. Um 2000 v. Chr. lebte der Gutsbesitzer Heqanacht
. Der Mann brach zu einer Geschäftsreise auf. Während seiner Abwesenheit
sollte sein ältester Sohn Merisu die Verantwortung für den Haushalt
übernehmen. Der Zweitälteste Sa-Hathor mußte mit den beiden
jüngsten, Anupu und Snofru , das Feld bestellen. Heqanacht drohte dem Ältesten
Strafe an, sollte den Jüngeren etwas zustoßen.
"Wenn nun das Land überflutet ist, wenn Snofru es mit dir und Anupu
bestellt, weh dir und Sahathor! Paß gut auf Anupu und Snofru auf. Du stirbst
mit ihnen, und du lebst mit ihnen. Paß gut auf! Siehe, es ist keiner wichtiger
als Snofru in diesem Hause mir dir."
Augenscheinlich war der kleine Snofru Vaters Liebling. Der verzogene Jüngste sollte tun und lassen können, was er wollte. "Wenn nun Snofru das Vieh hüten will, sollst du es ihn hüten lassen. Er wollte nun nicht mit dir die Feldarbeit verrichten, indem er auf und ab ginge; noch wollte er hierher mit mir kommen. Was auch immer er will, du sollst ihn das genießen lassen, was er will."
Damit nicht genug! Snofru sollte auch noch Sonderzuweisungen erhalten und durfte
seinen Vater besuchen. "Du sollst ihn zu mir nach der Bestellung der
Felder schicken. Laß ihn mir drei Sack Weizen bringen mit dem, was du
an Gerste finden kannst, aber nur, was über euren Bedarf geht, bis ihr
die Erntezeit erreicht."
Heqanachts Bevorzugung eines Kindes entsprach ganz und gar nicht den anerkannten
Erziehungsrichtlinien.
"Ziehe nicht eines deiner Kinder den anderen vor. Schließlich
weißt du nicht, welches von ihnen dir später Gutes erweisen wird."
Zu allen Zeiten der ägyptischen Geschichte haben Weise davor gewarnt, Kinder, und hier vornehmlich die Söhne, allzusehr zu verzärteln. Erziehung sollte nicht zu nachgiebig sein. Nur Strenge würde die erwünschten Ergebnisse bringen.
"Schule deinen Sohn zum Hörenden,
der angesehen sein wird im Herzen der Vornehmen.
Wenn ein Sohn seines Vaters Wort annimmt, wird keiner seiner Pläne fehlschlagen.
Wenn er alt geworden ist und die Ehrwürdigkeit erreicht hat,
dann redet er ebenso zu seinen Kindern, indem er die Lehre seines Vaters erneuert.
Jeder, der wie er unterrichtet ist, möge zu seinen Kindern sprechen:
Setze ein Beispiel, verärgere nicht.
Stärke die Weltordnung, damit deine Kinder leben."
Der Verfasser einer anderen Schrift wird noch deutlicher: "Ein Sohn
stirbt nicht von dem Prügeln der Hand seines Vaters.
Wer aber seinen Sohn so lieb hat, daß er zugrunde geht, richtet sich selbst
zugrunde, denn Stock und Scham schützen einen Sohn gegen den Fall."
Entsprechend dem ägyptischen Ideal der Ma'at wurden Familien für gewöhnlich
als ein Verbund einander liebender Individuen dargestellt. In Wirklichkeit war
es um die Harmonie oft nicht so gut bestellt. Von einem traurigen Familienschicksal
erzählt ein Brief, den zwei Geschwister in der Spätzeit an den Gott
Thot schrieben.
"Höre unser Ersuchen: Wir sind in Elend bei Nacht und Unglück
bei Tag durch einen grausamen Vater. Er fühlt keinerlei Schuld.
Unsere Mutter hat viele Jahre mit ihm zusammen gelebt, und sie gebar uns; aber
er hat den Tod unserer Mutter verursacht, als wir noch klein waren. Er nahm
eine andere ins Haus und warf uns hinaus an dem Tag, da sie starb. Er hat uns
weder essen gegeben, noch Kleidung noch Öl. Obwohl er uns die Mitgift unserer
Mutter schuldig ist, enthält er sie uns vor. Wenn er uns am Tor seines
Hauses sieht, so wirft er einen Scheffel nach uns. Dieser Mann hat Geld, Getreide
und Güter; es würde ihm nichts abgehen, wenn er uns zu essen gäbe.
Seine Missetaten sind zu zahlreich, um sie aufzuschreiben, noch würde der
Papyrus sie fassen: die Härte, die Beraubungen, die Nöte und Entbehrungen,
die dieser grausame Vater uns auferlegt.
Wir werden unterdrückt, sorgt, daß er aufhört! Wir werden mißhandelt,
sorgt, daß uns Recht widerfährt!"
Für Mädchen war der Verlust der Mutter besonders schwer, denn sie
wurden von ihren Müttern in allen weiblichen Fertigkeiten unterwiesen,
so wie die Söhne für gewöhnlich von ihren Vätern ausgebildet
wurden.
In der bäuerlichen Bevölkerung arbeiteten Frauen in allen Bereichen
des Hauses und der Produktverarbeitung, die Schwerstarbeit vielleicht ausgenommen.
Vor allem beim Worfeln von Getreide, beim Bierbrauen und Weben sieht man sie
häufig in den Grabmalereien. Außerdem scheint alles, was mit Kleidung,
Frisuren, Schmuck und Kosmetik zu tun hatte - Dinge, die dem ägyptischen
Mann genauso wichtig waren wie der Frau - Sache der Frauen gewesen zu sein.
Die Beamten- und Schreiberkarrieren waren in erster Linie Männern vorbehalten. Seit frühester Zeit lernen aber gelegentlich Frauen schreiben. Aus dem Handwerkerdorf Deir el-Medina sind Ostraka mit Notizen erhalten, die auf weibliche Verfasserschaft schließen lassen. In einem Brief aus dieser Siedlung heißt es:
"Und du wirst diese Tochter des Chonsmose sehen und sie einem Brief schreiben lassen und ihn an mich senden."
Die Beziehungen in einer altägyptischen Familie reichten weit über das diesseitige Dasein hinaus. Es gibt wohl keine andere Kultur, die das Leben so eng mit der Existenz nach dem Tod verband. Einmal im Jahr, am Schönen Fest vom Wüstental, wenn in Theben der Gott Amun die Totentempel auf dem Westufer des Nil besuchte, zogen auch die Familien zu ihren Friedhöfen, um mit den schon verstorbenen Angehörigen ein Festmahl abzuhalten. Man glaubte, die Angehörigen kämen den weiten Weg aus dem Land des Westens, um noch einmal mit den Ihren zusammensein zu können.
Sogar im Alltag blieb die Verbindung zu den teuren Verblichenen eng. Man stand in ständigen Austausch. Wenn man in Kontakt treten wollte, dann schrieb man einen Brief. Dies tat der Gatte der verstorbenen Anch-iri gegen Ende des Neuen Reiches. Er fühlte sich von seiner toten Frau bedrängt und ungerecht behandelt.
"An den trefflichen Geist der Anch-Iri!
Was hast du Übles gegen mich getan, daß ich in den schlimmen Zustand
geraten bin, in dem ich mich befinde? Was habe ich gegen dich getan? Es ist
geschehen, daß du gegen mich vorgehst, obwohl ich nichts Übles gegen
dich getan habe, seit ich mit dir als Gatte lebe bis zum heutigen Tage. ...
Ich werde gegen dich Klage vorbringen vor den Göttern des Westens, und
man wird dich und mich auf Grund des Schreibens, das ich verfaßt und geschrieben
habe, richten.
Was habe ich gegen dich getan? Ich habe dich zur Frau genommen, als ich ein
junger Mann war, du warst bei mir, als ich meine verschiedenen Ämter ausübte.
Und alles, was ich erwarb und was mir zukam, nahm ich es nicht um deinetwillen,
weil ich mir sagte: ich handle nach deinem Wunsch? Als du starbst, weinte ich
mit den anderen. Ich gab Leinen und Stoffe, dich einzubalsamieren. Siehe, ich
habe danach drei Jahre allein gelebt und nicht geheiratet, obwohl es einem wie
meinesgleichen nicht ansteht. Siehe, ich habe es um deinetwillen getan. Aber
siehe, du kannst Gutes nicht von Schlechtem unterscheiden. So wird man zwischen
dir und mir richten."
Wir wissen nicht, was zwischen Anchi-iri und ihrem Gemahl zu ihren Lebzeiten vorgefallen ist, das diese Not hervorgerufen hat. Aber eines dokumentiert sich in dieser bildhaften Form ganz deutlich: das enge Aufeinanderbezogensein, das sogar die Grenze zwischen Leben und Tod mühelos überwindet. Die Menschen des Alten Ägypten wußten, wie sehr sie einander brauchten und sie bekannten sich dazu. Ein Ägypter hat das, was er vom Leben erhoffte, mit geradezu rührender Schlichtheit auf den Punkt gebracht: "Luft, welche Amun gibt, eine gute Frau, gehorsame Kinder, viel Besitz."