Im ägyptischen Museum von Turin wird ein Papyrus aufbewahrt, der von einem der schaurigsten Verbrechen berichtet, das je im alten Ägypten begangen worden ist.
Im königlichen Frauenhaus wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts v. Chr. der Mord an Pharao Ramses III. geplant. Drahtzieher des ungeheuerlichen Verbrechens - immerhin handelte es sich um Mord am göttlichen König - war eine seiner Gemahlinnen, Königin Tije, die ihren Sohn Pentawer auf den Thron hieven wollte. Im ganzen Land wurde der Aufstand gegen Ramses III. geschürt. Man bediente sich aller zu Gebote stehender Mittel, nicht einmal vor der Anwendung von schwarzer Magie scheute man zurück. Das alljährlich stattfindende "Schöne Fest vom Wüstental" in Theben wurde als Termin für den Anschlag festgesetzt.
Doch dann ging alles schief. Die Verschwörung wurde entdeckt und alle, die darin verstrickt waren, vor Gericht gestellt und furchtbar bestraft. Wurde der König verletzt? Wir wissen es nicht. Vielleicht ist Ramses III. an den Folgen des Attentats gestorben, möglicherweise konnte er vor seinem Tod noch selbst die Gerichtsverhandlungen anordnen, bei denen ein übler Sumpf von Verbrechen, Ehrgeiz und Korruption offenbar wurde.
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"Siehe, ich begab mich zur Ruhe in der jenseitigen Welt wie mein Vater Ra. Ich mischte mich unter die großen Götter im Himmel, auf der Erde und im Jenseits. Amun-Ra hat meinen Sohn auf meinen Thron gesetzt. Er übernahm mein Amt in Frieden, als König über die beiden Länder, sitzend auf dem Thron des Horus als Herr über die beiden Ufer."
Der König von Ägypten, Pharao Ramses III. ist tot.
Er starb im Jahr 1156 v. Chr. im dritten Monat der Erntezeit. Mit ihm verschied
der letzte der großen Herrscher des sogenannten Neuen Reichs im Alten
Ägypten. Als tatkräftiger, erfolgreicher König hatte er das Land
über drei Jahrzehnte durch eine sehr gefahrvolle Zeit geführt.
Im 12. Jahrhundert v. Chr. wurde Ägypten wiederholt durch wirtschaftliche Nöte und vor allem durch große Kriege erschüttert. Heerscharen der sogenannten Seevölker, Ausläufer der großen indogermanischen Völkerwanderung, bedrohten Ägypten. Das Reich der Hethiter war durch sie schon zusammengebrochen. Es ist das große Verdienst Ramses III., daß es Ägypten nicht ebenso erging. In einer Tempelinschrift lesen wir von der bedrohlichen Lage in Vorderasien:
"Die Fremdländer, sie machten ein Bündnis auf ihren Inseln.
Sie zogen fort und sind verstreut im Kampfgewühl der Länder. Nicht
hielt irgendein Land vor ihren Armen stand. Sie kamen heran, obwohl die Flamme
vor ihnen bereitet war, vorwärts nach Ägypten."
Zuvor hatte Ramses in einem Krieg eine Koalition libyscher Stämme besiegt,
bei dem sehr viele Feinde getötet und andere gefangengenommen wurden. Daß
er ein zupackender Kriegsherr sein würde, hatte der König bereits
zu Beginn seiner Herrschaft in einer Antrittsrede angekündigt:
"Hört auf das, was ich spreche. Ihr sollt meine Pläne kennen,
die euch am Leben erhalten werden. Sehen möget ihr die Macht meines Vaters
Amun, den Schöpfer meiner Macht und Schönheit. Er gewährt mir
Sieg und seine Hand führt mich. Jeder, der die Grenzen meines Landes verletzt,
wird in meiner Faust zerquetscht. ...
Voll
Stolz zieht Ramses nach den vielen Kriegsjahren Bilanz:
"Ich erweiterte die Grenzen Ägyptens, ich warf jene hinaus, die
aus ihren Ländern über die Grenzen kamen. Die Seevölker wurden
zu dem gemacht, das nicht existiert, oder wurden als Gefangene nach Ägypten
gebracht, zahlreich wie der Sand am Meeresstrand.
Ich besteuerte sie alle, indem ich jedes Jahr über die Vorratshäuser
und Kornspeicher Stoffe und Getreide von ihnen forderte."
Dankbarkeit gegenüber ihrem König erfüllte die Menschen.
"König Ramses ist gütig zu Ägypten. Ohne Mühe trägt er den Schutz des Landes auf seinem Rücken. Er ist wie eine Mauer, die Schatten über die Menschen wirft. Sie leben unter seiner Regierung und ihre Herzen verlassen sich auf seinen Schutz."
Endlich herrschte wieder Ruhe und Frieden in Ägypten.
"Ich bepflanzte das ganze Land mit Bäumen und frischen Pflanzen und ließ die Menschen in ihrem Schatten leben. Ich machte, daß die Frau Ägyptens sich frei bewegen konnte, wohin sie immer wollte, unbelästigt von anderen auf dem Wege. Ich ließ die Soldaten und die Wagentruppe untätig herumsitzen während meiner Zeit, und die Menschen in ihren Dörfern ruhten während der Nacht, ausgestreckt ohne jede Furcht."
Dieses friedliche Bild deckte sich leider nicht mit der Wirklichkeit. Durch
die Kriege und die großen Bauunternehmungen des Pharao war das Land in
wirtschaftliche Not geraten. Wir hören von Arbeiterstreiks in der Nekropole
von Theben, ja, von sozialen Unruhen im ganzen Land. Immer wieder gerieten die
Lebensmittelzuteilungen für die Bevölkerung ins Stocken.
Doch weder soziale noch miltärische Probleme waren die Ursache für
das ungeheuerliche Verbrechen, mit dem die Herrschaft Ramses III. endete.
Es war schlicht persönliche Machtgier, die zu dieser Freveltat führte. Im Frauenhaus des Pharao wurde eine Verschwörung angezettelt, die nur ein Ziel verfolgte: Mord an Ramses. Der König, Gott auf Erden, die Inkarnation des Gottes Horus, sollte sterben.
Im Ägyptischen Museum von Turin liegt der berühmte Papyrus, in dem
die Namen, Taten und Aussagen der Verschwörer aufgezeichnet sind. Dieses
brisante Staatsdokument stammt vermutlich aus der Tempelbibliothek von Medinet
Habu, dem mächtigen Totentempel Ramses III. auf dem Westufer von Theben
in Oberägypten.
Stil und Wortwahl dieses Schriftstücks legen den Schluß nahe, daß
der tatsächliche Nachfolger Ramses III., sein Sohn Ramses IV., es als fingiertes
Gerichtsdokument schreiben hat lassen. Ein solches fiktives politisches Testament
ist im alten Ägypten durchaus üblich. Für uns wird es dadurch
allerdings schwierig, zu entscheiden, wieviele von den angeführten Ereignissen
tatsächlich stattgefunden haben und nicht vom Nachfolger aus Gründen
der Propaganda so dargestellt wurden.
Ramses III. hatte, wie jeder Pharao, mehrere Königinnen und viele Nebenfrauen.
Sie lebten im "Ipet Nisut", dem königlichen Frauenhaus, für
das sich die irreführende Bezeichnung Harem eingebürgert hat.
Ein Harem wie aus Tausend und einer Nacht ist das Frauenhaus des ägyptischen
Königs niemals gewesen. Die Frauen wurden weder eingesperrt, noch von Eunuchen
bewacht. Das Frauenhaus war eine Wirtschaftsorganisation von beachtlicher Größe,
in dem Königinnen, Nebenfrauen samt ihren Kindern, unverheiratete Schwestern
und Tanten des Königs oder Hofdamen lebten. Dort gingen sie selbständig
ihren teilweise nicht unbeträchtlichen Geschäften nach. Selbstverständlich
hatten auch Männer Zutritt zum Frauenhaus. Diejenigen, die dort Dienst
taten, waren keine Wächter, sondern Schreiber und Verwalter, die den Damen
bei ihren Unternehmungen zur Hand gingen.
Den Frauen galt wegen ihrer Stellung als Königinnen, Nebenfrauen und Konkubinen
des göttlichen Königs besondere Aufmerksamkeit. Ihr Lebenswandel wurde
genau beobachtet, die Konkurrenz unter den Frauen führte oft zu Unfrieden
und Intrigen.
Der Harem, in dem das Komplott geschmiedet wurde, trug den Namen "Harem
in der Begleitung". Offenbar gab es eine Gruppe Frauen, die, im Gegensatz
zu den ortsfesten Frauenhäusern in der Residenz oder in der Oase Fayum,
den König auf seinen Reisen begleitet hat.
Ramses III. hatte keine seiner Königinnen in den Rang einer Großen
Königlichen Gemahlin erhoben, ein Amt, das nicht nur eine herausragende
Stellung, sondern auch religiöse Funktionen mit sich gebracht hätte.
Daher stand auch der Thronfolger nicht von vorneherein fest. So wie die Dinge
lagen, hatte wohl der älteste Sohn die besten Aussichten auf die Nachfolge.
Der älteste Sohn aber war Prinz Pentawer nicht, sehr zum Leidwesen seiner
Mutter, der Königin Tije. Sie wollte Pentawer unbedingt auf den Pharaonenthron
bringen. Notfalls mit Gewalt.
Tije plante also eine Verschwörung gegen das Leben des Königs. War
dieser nicht mehr am Leben, sollte Pentawer mit einem Handstreich die Macht
übernehmen. Besonders wichtig war es dabei, sich des Militärs zu versichern.
Tatsächlich gelang es ihr, die Führung des Heeres in die Verschwörung
mit einzubeziehen. Zum Entsetzen aller wurden im späteren Prozeß
gegen die Verschwörer die Führer der ägyptischen Armee als Verbrecher
entlarvt.
"Angeklagt wurde wegen seiner Untaten: der große Verbrecher Paiis, der damals Oberbefehlshaber des Heeres war."
Auch die Führung der Sondereinheiten konnte für das Komplott gewonnen werden.
"Angeklagt wurde der große Verbrecher Bin-em-waset, der damals die nubischen Bogenschützen befehligte. Er wurde wegen seiner Schwester vorgeführt, die im Frauenhaus lebte und ihm einen Brief geschrieben hatte des Inhalts: "Hetze das Volk auf, säe Feindschaft und kehre zurück, um Aufstand gegen unseren Herrn anzuzetteln."
Der Vorwurf der Aufwiegelung findet sich in dem Papyrus mehrere Male. Sicher kam den Verschwörern die allgemeine Unzufriedenheit mit den sozialen Verhältnissen gerade recht. Würde das Komplott zu einer landesweiten Revolte führen?
Dazu ist es nicht gekommen. Der Plan wurde entdeckt und die Täter furchtbar
bestraft. Ob Ramses III. ihnen zum Opfer gefallen ist, wissen wir nicht genau.
Seine Mumie ist erhalten; sie weist keine Anzeichen für äußere
Gewalteinwirkung auf. Aber nicht alle Verletzungen könnten heute erkannt
werden. Kleinste Stichwunden oder auch manche Vergiftungen lassen sich nicht
mehr nachweisen.
Über den Tod Ramses III. gibt es in der Wissenschaft unterschiedliche Meinungen.
Einige vermuten, daß er bei dem Attentat getötet wurde, andere glauben,
er habe den Anschlag überlebt und noch einige Zeit weiterregiert.
Am wahrscheinlichsten ist, daß der Pharao schwer verletzt wurde. Die Verfolgung
der Täter hat er wohl noch angeordnet, ist dann aber bald darauf seinen
Verletzungen erlegen.
Im Turiner Papyrus kommt der König selbst zu Wort. Er gibt Anweisung, den Gerichtshof einzuberufen, und legt Wert darauf, festzuhalten, daß die Richter frei und unabhängig ihre Urteile sprechen. Die Übeltäter würden ihrer Strafe nicht entgehen und er sei als Gott ohnehin nicht wirklich angreifbar.
"Und sie gingen hin und verhörten sie, und sie ließen diejenigen
durch ihre eigenen Hände sterben, die sie sterben ließen, obwohl
ich nicht weiß, wen. Aber ich hatte sie genau angewiesen, indem ich sagte:
"Gebt wohl acht und hütet euch, daß nicht Strafe verhängt
wird über irgendeinen durch Rechtsbeugung durch einen Beamten, der nicht
über ihm ist." So sprach ich zu den Richtern immer wieder.
Und was alles das anbetrifft, was getan worden ist: sie sind es, welche es getan
haben. Laßt alles, was sie getan haben, auf ihre Häupter fallen,
denn ich bin befreit und geschützt ewiglich, indem ich unter den gerechten
Königen bin, welche sind im Angesicht von Amun-Ra, dem Götterkönig,
und im Angesicht des Osiris, des Herrschers der Ewigkeit."
Der Papyrus enthält 29 Namen, die in fünf Listen aufgeteilt sind
und verzeichnet die Strafen, mit denen die Schuldigen belegt worden waren. Einige
hohe Staatsbeamte und viele Verwalter des Frauenhauses waren an der Verschwörung
federführend beteiligt. Andere dürften einfach nur Mitwisser gewesen
sein und hatten über das, was sie gesehen und gehört hatten, wohlweislich
den Mund gehalten. Aber man hat offenbar das Unternehmen für sehr aussichtsreich
gehalten.
Der wichtigste Verbündete der Königin wird gleich am Anfang der Schrift
genannt:
"Angeklagt wurde der große Feind Pai-bek-kamen, der Haushofmeister gewesen war. Er wurde gebracht, weil er sich der Tije und den Frauen des Harems angeschlossen hatte. Er machte gemeinsame Sache mit ihnen und ging dazu über, ihre Worte nach draußen zu bringen zu ihren Müttern und ihren Brüdern und Schwestern, welche da waren, indem er sagte: "Sammelt Leute und schürt die Feindschaft!", um einen Aufruhr gegen ihren Herrn zu machen."
Über Pai-bek-kamen, einen der höchsten Palastbeamten, gelangte auf geheimen Wegen Nachricht über das geplante Verbrechen "nach draußen". Er sorgte also für die Kontakte zwischen Tije und den Frauen des Harems mit der Außenwelt. Wie ein Netz sollte sich die Verschwörung über das Land legen. Gezielt wurden alle Bereiche des öffentlichen Lebens in die Angelegenheit verwickelt. Selbst Priester hatten sich angeschlossen.
"Angeklagt: der große Verbrecher Iryi, der damals der Vorsteher der Sachmet-Priester gewesen ist."
Offenbar konnten auch ausländische Hofbeamte gewonnen werden. Von ihnen gab es unter Ramses III. eine Menge in der Residenz. Libyer waren darunter ...
"Angeklagt: der große Verbrecher, der Libyer Inini, der damals Kellermeister gewesen ist. Er wurde vorgeführt, weil er mit Pai-bek-kamen zusammengearbeitet hat."
... und auch andere Fremdländer:
"Angeklagt: der große Verbrecher Peluka, der Lykier, der damals Kellermeister und Angestellter des Schatzhauses gewesen ist. Er wurde vorgeführt, weil er mit Pai-bek-kamen zusammengearbeitet hat."
Königin Tije hatte als Termin für die Durchführung des Mordanschlags
das Talfest in der Totenstadt von Theben vorgesehen.
Die ehemalige Residenzstadt Theben in Oberägypten war der religiöse
Mittelpunkt des Landes. Hier befand sich der mächtige Tempel des Reichsgottes
Amun-Ra, hier lag im Gebirge auf dem Westufer des Nil das geheimnisvolle Tal
der Könige, in dem noch immer die Pharaonen bestattet wurden. Der Regierungssitz
war allerdings längst in das Deltagebiet verlegt worden.
In der Totenstadt von Theben hatten die Pharaonen einen Tempel nach dem anderen
gebaut. Die trutzige Tempelfestung Medinet Habu, das "Haus der Millionen
Jahre" Ramses III. war erst vor kurzem fertiggestellt worden.
Hier, auf dem Westufer des Nil wurde einmal im Jahr das "Schöne Fest
vom Wüstental" gefeiert.
Jedes Jahr im zweiten Monat der Erntezeit begab sich der große Gott Amun
selbst von seinem Tempel in Karnak auf das Westufer und besuchte die Totentempel.
Tagelang feierten die Bewohner der Totenstadt das "Schöne Fest vom
Wüstental" mit Opfern, Gesängen, Prozessionen und Festessen.
Nach ägyptischer Auffassung eilten selbst die Toten herbei, um die Gottesbarke
zu sehen und den Götterkönig zu begrüßen.
"Mögest du hervorkommen und eintreten in die Totenstadt von Theben,
ohne daß dein Schritt auf ihrem Friedhof behindert wird.
Mögest du im Gebiet des Westens Thebens stehen
an jenem Tage der Wasserfahrt.
Mögest du den König der Götter in seinem großen Geheimnis,
den Vater der Götter in seiner herrlichen Gestalt erblicken.
Mögest du im Tempel unter den Seligen zum Herrn der Götter gehen
am Talfest."
Auch in diesem Jahr befanden sich der König und der Hohepriester
auf der buntgeschmückten heiligen Barke, die den Gott in Gestalt seiner
Statue ans Westufer beförderte.
Ahnungslos kam der Pharao seinen rituellen Pflichten nach. Jubelnde Menschen
säumten die Ufer und die Prozessionswege. Die Barke des Sonnengottes Ra
zog majestätisch über den Himmel und die Luft war gesättigt von
Duft der Blumen, dem Geruch der Felder und dem Aroma des Weihrauchs, den die
Priester verbrannten.
Medinet Habu, Totentempel
Ramses' III., Erster Pylon
Unterdessen trafen die Verschwörer vor dem Tempel von Medinet Habu letzte Vorbereitungen.
"Wachsfigürchen wurden über einen Mittelsmann hineingebracht, Botschaften hinein- und hinausgetragen, Verwirrung unter den Wachleuten gestiftet, Menschen getäuscht."
Die Erwähnung solcher Wachsfigürchen in einen anderen Papyrusfragment
zeigt, daß sich die Verschwörer ungeniert der Zauberei und Magie
bedient haben.Zauberkunst zu praktizieren war im alten Ägypten eine angesehene
Beschäftigung. Natürlich gab es viele Scharlatane, aber die ausgebildeten
Priestermagier betrieben die Zauberkunst gleichsam "wissenschaftlich".
Sie arbeiteten im Tempel oder dem Haus des Lebens, einer dem Tempel angeschlossenen
Stätte der Ausbildung und Forschung. Ein großer Teil der Heilkunst
bestand aus der richtigen Anwendung von Zaubersprüchen. Man glaubte, daß
viele Krankheiten durch Dämonen oder gar durch die Macht der Götter
hervorgerufen wurden.
Feinde oder böse Geister mußten gebannt oder verflucht werden, solche
Praktiken aber gegen die treuen Diener Pharaos oder den Gott selbst anzuwenden
war ungeheuerlich.
"Man schrieb Sprüche nieder, um zu verzaubern, zu bannen und Verwirrung zu stiften. Man formte aus Wachs Figuren von Göttern und Menschen und mischte Zaubertränke, um die Kraft aus den Gliedern der Menschen zu ziehen. All dies gelangte in die Hände von Pai-bek-kamen (...) und die anderen großen Feinde. Man sprach: " Bringt es zur Anwendung!" Und siehe, sie brachten es zur Anwendung. Und Pai-bek-kamen ließ die Verbrecher eintreten und handelte an ihrer Seite."
Während der Gerichtsverhandlung wollte der Angeklagte diese Freveltaten leugnen.
"Er schwor den Eid beim Herrn, Leben, Heil, Gesundheit, um seine Glaubwürdigkeit zu erhärten, und schwor: "Nicht einen Spruch gab ich irgendjemanden, weder im Amt, noch irgendwo sonst im ganzen Land."
Eine glatte Lüge! Mehr noch: Pai-bek-kamen sorgte dafür, daß die Verschwörer ungehindert sowohl im Tempel als auch im Haremsgebäude ein und ausgehen konnten.
"Als der Oberaufseher der Herden ihn bat: "Gib mir ein Schriftstück,
damit ich Autorität habe!", gab er ihm ein amtliches Schriftstück
des Königs, Leben, Heil, Gesundheit.
Es geschah anläßlich des Fests der Ankunft des Gottes, unter großem
Trubel des Volkes, daß er jenen sehr heiligen Tempel betrat."
Einer der Verschwörer trug einen Korb; seine Hände zitterten so,
daß er den Offiziellen doch auffiel.
"Als die Wachleute ihn überprüften, fanden sie Beweise für
jede Anschuldigung und jedes Verbrechen, das dieser Mann in seinem Herzen geplant
hatte."
Hatte dieser Vorfall einen Einfluß darauf, wie die Verschwörung aufgedeckt wurde? Was genau geschah damals in Medinet Habu? Wurde das Komplott von einem Abtrünnigen verraten? Ist womöglich ein treues Mitglied der königlichen Familie, vielleicht sogar der spätere König Ramses IV., den Verbrechern auf die Spur gekommen und hat geistesgegenwärtig gehandelt? Wir wissen es nicht. Sicher ist, daß die Verschwörer schreckliche Konsequenzen zu tragen hatten.
Ramses III. rief, bevor er starb, gleich zwei Richterkommissionen zusammen,
die über die Täter zu Gericht sitzen sollte. Die eine, bestehend aus
sechs "Großen Fürsten des Untersuchungshofes" urteilte
über die Haremsbeamten, die andere, vier Kellermeister des Königs,
fällte über die Hauptangeklagten die Todesurteile.
Lähmendes Entsetzen erfaßte das Land, als der ganze Umfang der Verschwörung
bekannt wurde.
Von den zerrütteten Verhältnissen in der Umgebung des Pharao wollte man wohl so wenig wie möglich der Nachwelt überliefern. Deshalb wurden die Gerichtsprotokolle kurz und knapp gehalten.Die Hauptangeklagten mußten hinnehmen, daß die Richter ihre Namen änderten. Nach ägyptischer Auffassung besaßen Namen magische Kraft und zogen das an, was sie aussagten. Die Erkenntnis "nomen est omen" der Römer war für Ägypter eine selbstverständliche Tatsache.Für die Gerichtsverhandlung wurden Namen mit ursprünglich positiver Bedeutung in solche mit unheilverkündender Aussage umgewandelt.
"Der große Verbrecher Mesedju-Ra, der Kellermeister gewesen war. Er wurde herbeigebracht, weil er sich angeschlossen hatte dem Pai-bek-kamen, der 'Großer des Hauses' gewesen war, und auch den Frauen, um die Bösen aufzureizen, daß sie feindlich gegen ihren Herrn handelten."
Mesedju-Ra bedeutet "Ra haßt ihn", und damit ist klar, daß dies nicht der wirkliche Name des Mannes gewesen sein kann. Pai-bek-kamen heißt "der blinde Diener", während Pai-bek-Amen, "der Diener Amuns" ein gängiger Name ist. Der Oberbeamte des "Harems in der Begleitung" wurde gar "Panik" genannt, was "Dämon" bedeutet.
Wochenlang tagte das Gericht. Die Rädelsführer wurden hingerichtet, einschließlich einer Gruppe von 6 Frauen.
"Frauen der Leute vom Tor des Frauenhauses, die sich bei der Verschwörung mit den Männern vereinigt hatten, vor die Fürsten des Untersuchungshofes gestellt; sie fanden sie schuldig und ließen ihre Strafe an ihnen vollziehen: 6 Frauen."
Andere begingen Selbstmord, unter ihnen Prinz Pentawer, zu dessen Gunsten die ganze Verschwörung begonnen worden war.
"Pentawer ... wurde vorgeführt, weil er in geheimen Einverständnis gestanden hatte mit Tije, seiner Mutter, als sie sich mit den Frauen des Harems verschworen hatte, einen Anschlag auf den Herrn zu verüben. Er wurde den Richtern zur Befragung vorgeführt. Sie sprachen ihn schuldig und beließen ihn dort, wo er war. Er nahm sich das Leben."
Über das Schicksal seiner Mutter, der Königin Tije, erfahren wir seltsamerweise überhaupt nichts.
Noch ehe die Untersuchung zu Ende war, ereignete sich ein wahrhaft beschämender Zwischenfall. Zu den Verschwörern, dem "Abscheu des ganzes Landes", gesellten sich eines Abends Mitglieder des Richterkollegiums. Sie hatten sich mit einigen angeklagten Frauen angefreundet. Die Richter setzten sich mit den Frauen und dem Hauptverbrecher Paiis zusammen und machten mit ihnen "ein Bierhaus", d. h. sie veranstalteten ein Gelage. Dieser unglaubliche Vertrauensbruch mußte natürlich entsprechend geahndet werden.
"Personen, die durch Abschneiden ihrer Nasen und Ohren bestraft wurden,
weil sie die guten Anweisungen nicht beachtet haben, die ihnen gegeben worden
waren. Sie zechten mit den Angeklagten und machten gemeinsame Sache mit ihnen.
Ihr Verbrechen kam über sie.
Der große Verbrecher Mai, Schreiber der Archive
der große Verbrecher Pabes, Kellermeister."
Mit dem Abschneiden von Nase und Ohren wurden im alten Ägypten schwere Verbrechen sehr häufig bestraft. Die Todesstrafe sprach man nur bei allerschwersten Verbrechen aus. Nur einer der so tief gefallenen Richter kam mit einer strengen Verwarnung davon.
"Ein Mann, der sich mit ihnen verbunden hatte. Man tadelte ihn mit
sehr harten Worten. Dann überließ man ihn sich selbst und verfolgte
ihn nicht weiter.
Es handelte sich dabei um den großen Verbrecher Hori, Standartenträger
der Fußsoldaten."
Ramses III. war bei seinem Tod etwa 62 Jahre alt.
Vielleicht starb er an den Folgen des Anschlags und die Verschwörung hatte
in diesem einen entscheidenden Punkt Erfolg. Vielleicht rang der König
wochenlang mit dem Tod und diktierte mit letzter Kraft einem Schreiber die flehentliche
Bitte an die Menschen Ägyptens, seinem Sohn, dem jungen Ramses, die Treue
zu halten.
"Heftet euch an seine Sandalen, küßt die Erde in seiner
Gegenwart, verneigt euch vor ihm, folgt ihm alle Zeit, verehrt ihn und preist
ihn...
Beachtet sorgfältig seine Anweisungen, befolgt seine Befehle, die zu euch
gesprochten werden. Arbeitet für ihn ..., errichtet ihm Monumente, grabt
Kanäle für ihn, auf daß ihr seine Gunst genießt und in
seiner Fürsorge seid alle Tage. Denn Amun hat ihm die Herrschaft auf Erden
gegeben ..."
Danach wendet sich der sterbende König an die Götter selbst:
"Hört mich an, o große Götterneunheit! Seht die Wohltaten,
die ich getan habe, als ich als König auf Erden über die Lebenden
geherrscht habe. Gewähret, daß ich göttlich sein werde wie ein
Gott der Neuheit. ...
Schenkt Frohsinn meinem Herzen, indem ihr meinen Sohn als König auf dem
Horusthron einsetzt...
Senkt Liebe zu ihm in die Herzen der Menschen, laßt das ganze Land jubeln
bei seinem Anblick...
Möge Ägypten selig sein unter seiner Herrschaft für alle Zeit."