Die Schlacht bei Kadesch

Ein Pharao steht allein auf dem Schlachtfeld vor einer gewaltigen feindlichen Übermacht. Er ist alleingelassen von seinem Heer, seinen Offizieren. Den Tod vor Augen fleht er seinen Gott um Rettung an. Und dieser Gott wirkt ein Wunder. Diese erstaunliche Szene hat sich im Jahr 1275 v. Chr. in Syrien zugetragen.
Die Schlacht von Kadesch ist die erste detailliert dokumentierte Schlacht der Weltgeschichte. Die ägyptische Armee unter Ramses II. wollte die Stadt den Hethitern abtrotzen und so die Vormachtstellung der Ägypter im Vorderen Orient festschreiben. Mit feindlichen Spionen und fingierten Nachrichten hatten die Hethiter Ramses geradewegs in einen Hinterhalt laufen lassen. Im Kampf erwiesen sich die Offiziere als völlige Versager und die Truppe ließ den König im Stich. Nur durch den Kampfesmut des Pharao und das Wunder Amuns konnte die schon sichere Niederlage der Ägypter zumindest in ein Unentschieden verwandelt werden.
Aus propagandistischen und religiösen Gründen -immerhin hat der Reichsgott Amun persönlich ins Kampfgeschehen eingegriffen- hat Ramses die Abfolge der Ereignisse auf zahlreichen Tempelwänden verewigen und in einem Gedicht besingen lassen.
Ramses II., Äg. Museum, Kairo

Ramses, der Kronprinz
Ramses' Vater: Pharao Sethos I.
Der Große unter den Großen der Soldaten: Befehlshaber des Heeres
Der Tod Sethos I.
Amurru - Puffer zwischen Ägypten und Hatti
Der Krieg beginnt
Spione vor Kadesch
Das Versagen der Generäle
Die Schlacht
Das Eingreifen Amuns
Der Friedensvertrag



"Was ist mit dir, mein Vater Amun?
Hätte ein Vater jemals seinen Sohn vergessen?
Hätte ich jemals etwas ohne dich getan?
Gehe und stehe ich nicht allein nach deinem Wort?
Habe ich jemals einen Plan übertreten, den du geboten hast?
Zu groß ist er doch, der große Herr Ägyptens,
als daß Fremdvölker ihm entgegentreten könnten!
Was bedeuten dir diese Asiaten, Amun,
die Elenden, die Gott nicht kennen?"

Der Mann, der hier in höchster Not zum Reichsgott Amun ruft, ist kein geringerer als Pharao Ramses II. Er steht, allein gelassen von seinen Truppen und Offizieren, auf dem Schlachtfeld vor der Stadt Kadesch, die Übermacht des Feindes und den fast sicheren Tod vor Augen. Was war geschehen? Wie konnte der ägyptische König in diese verzweifelte Lage geraten?

Ägypten, um 1275 v. Chr.
Seit vier Jahren herrscht Pharao Ramses II. über das Land am Nil. Er sollte zum berühmtesten Herrscher der ägyptischen Geschichte werden. Mit seinem Namen wird man Macht und Größe verbinden; er wird länger regieren und mehr Tempel erbauen lassen als die meisten anderen Pharaonen.

Ramses, der Kronprinz

Ramses wurde 1304 v. Chr. geboren. Sein Großvater Ramses I. hatte die 19. Dynastie begründet, war aber nach nur zwei Jahren gestorben. Danach wurde sein Vater Sethos Pharao.Das neue Herrschergeschlecht stammte aus dem östlichen Nildelta und verehrte in besonderem Maße den Gott Seth, den Herrn des Chaos und der Gewalt. Gleichberechtigt stand dieser Gott neben den anderen großen Reichsgöttern Ägyptens, dem Amun aus Theben, dem Re aus Heliopolis und dem Ptah aus Memphis. Nach diesen vier Gottheiten wurden seit Beginn der 19. Dynastie die vier Hauptabteilungen des Heeres benannt. Mit den Divisionen des Amun, des Re, des Ptah und des Seth sollte auch Ramses II. seine Kriege führen.

Für Ramses, den Kronprinzen, ist sein enges Verhältnis zu den großen Göttern Ägyptens selbstverständlich.

"Ich bin aus Re hervorgegangen, obwohl ihr sagt, aus Sethos.
Aber der mich aufzog und groß werden ließ, das war doch der Allherr selbst."

So steht es in der Rede Ramses' an seine Hofleute, die er in einem Tempel verewigen ließ. Ramses hat als Kind und als Jugendlicher seinen Vater als kriegerischen Herrscher erlebt.

Ramses' Vater: Pharao Sethos I.

Wie seine Vorgänger wollte auch Sethos das ägyptische Großreich festigen und, wenn möglich, erweitern. Diese Haltung war ideologisch-religiös begründet. Seit Beginn des Neuen Reichs galt die "Erweiterung des Bestehenden" als rituelle Pflicht eines jeden Pharao. Gerade den vorderasiatischen Nachbarn wollte Ägypten durch Kriegszüge deutlich machen, daß der außenpolitische Schlendrian vergangener Jahre vorüber war und in Ägypten kraftvolle Pharaonen herrschten, die sich keine Aufmüpfigkeit bieten ließen. Ganz bewußt hat Sethos seinen Sohn früh in die Herrschertätigkeit miteinbezogen.

"Damals, als mein Vater bei den Untertanen erschien, da war ich als Kleinkind in seinen Armen dabei.Königliste von Abydos
Und er sagte über mich: ‚Laßt ihn als König erscheinen, damit ich seine Vollkommenheit sehe, während ich noch lebe.'
Er ließ die zuständigen Priester herbeirufen, um die Doppelkrone auf meinem Scheitel zu befestigen."
Mit väterlicher Zuneigung bestimmte Sethos seinen Sohn zum Herrscher Ägyptens: "'Er soll das Land regieren, für Ägypten sorgenund das Gesicht den Menschen zuwenden.' Er sagte es unter Tränen, weil seine Liebe zu mir so stark war in ihm."

In dieser Entscheidung wußte sich Sethos einig mit dem Sonnengott Re. Dieser hatte Ramses zum König bestimmt, als der noch gar nicht geboren war. Ramses berichtet: "Ich war ein Kind, da ich zum Herrscher wurde, ja, er hat mir den Erdkreis gegeben, da ich noch im Mutterleib war."

Der Große unter den Großen der Soldaten: Befehlshaber des Heeres

In die militärische Tradition wurde Ramses schon als Knabe eingebunden. Er erzählte: "Zum Oberhaupt der Fußtruppen und der Wagenkämpfer wurde ich ernannt."

Der militärische Oberbefehl gehörte während der 19. und 20. Dynastie zur Stellung des Thronfolgers. Das weist auf die bedeutende Rolle der Armee in dieser Epoche hin. Ägypten war Weltmacht geworden. Im Vorderen Orient konkurrierte der Staat mit den anderen Großmächten wie Babylon, dem aufstrebenden Assyrien und vor allem den Hethitern. Dieses Volk, dessen Kernlande in Kleinasien lagen, hatte während der vergangenen Jahrzehnte einen beispiellosen Aufstieg erlebt. Die Hethiter hatten das Mitanni-Reich zerschlagen und rangen seitdem mit Ägypten um die Vormacht im Vorderen Orient. Der große Entscheidungskrieg war vorhersehbar. Er hatte nur deshalb noch nicht stattgefunden, weil das Hethiterreich, und wohl auch, wenngleich in geringerem Ausmaß, Ägypten, von einer Pestepidemie heimgesucht worden war.

Der Hethiterkönig Murschilis berichtete in den sogenannten Pestgebeten: "Mein Vater zog gegen Ägypten in den Krieg und griff es an. Er schlug die Truppen und Streitwagen des Landes Ägypten. Der Sturmgott von Hatti, mein Herr, gab meinem Vater durch seinen Ratschluß den Sieg. Aber als sie die Gefangenen nach Hatti brachten, brachten diese Gefangenen die Pest in das Land Hatti. Von dem Tage an starben die Menschen im Land Hatti."

Der Tod Sethos I.

Pharao Sethos hatte mehrere Kriege zur Rückeroberung ägyptischer Besitzungen in Palästina geführt. Als er starb, etwa zeitgleich mit dem Hethiterkönig Murschilis, war die Frage der Vorherrschaft in Vorderasien aber noch immer ungeklärt. Es war die Aufgabe Ramses' II., die Beziehungen zum Hethiterreich endgültig zu regeln.

Ramses hat seinen Vater tief verehrt. Getreu erfüllte er nach dessen Tod alle Sohnespflichten, alle Riten und Opferhandlungen.
Während des feierlichen Begräbnisses wandte sich Ramses unmittelbar an seinen Vater und beschwor das göttliche Mysterium der Thronfolge:

"Wach doch auf!
Richte dein Gesicht zum Himmel, daß du den Sonnengott siehst,
o mein Vater Sethos, der du zu einem Gott geworden bist.
Siehe, deinen Namen belebe ich, ich schütze dich.
Deine Opferbrote dauern, während du wie Osiris in der Unterwelt ruhst,
denn ich bin als Sonnengott den Völkern erschienen!
Ich sitze auf dem Thron des Weltenschöpfers
wie Horus, Sohn der Isis, der seinen Vater schützt. ..."

Jubelnd pries der Hofstaat den neuen König:

"Dein Königtum ist wie das deines Vaters Amun.
Du herrschst wie er es getan hat.
Du bist auf Erden, so wie die Sonnenscheibe am Himmel ist.
Deine Lebenszeit ist wie seine Lebenszeit."

Amurru - Puffer zwischen Ägypten und Hatti

Die Hethiter litten noch immer unter der Pest. Beim Tode Sethos' blieb alles ruhig. Dennoch interpretierte man in Ägypten die politische Lage als bedrohlich, so sehr, daß der junge Pharao im vierten Jahr seiner Regierung den neuen hethitischen König Muwatallis herausforderte. Er wollte die vorderasiatische Frage ein für allemal lösen.

Ramses führte ein Heer an der Küste Palästinas entlang nach Norden. Nördlich von Beirut ließ er eine Grenzstele anbringen, dokumentierte so den Erfolg seines Feldzuges und die Macht Ägyptens und beeindruckte die Herrscher der Kleinstaaten Palästinas mit dieser Aktion gehörig. Der Fürst Bentesina von Amurru, der sein Land bislang unter den Schutz der Hethiter gestellt hatte, lief mit fliegenden Fahnen zu den Ägyptern über. Möglicherweise haben auch Gold und die Aussicht auf Beute seinen Schritt beflügelt.
Dem Land Amurru, das ungefähr auf dem Gebiet des heutigen Nordlibanon und Syrien lag, kam besondere strategische Bedeutung zu. Amurru war Pufferzone zwischen ägyptischem und hethitischen Einflußgebiet. Und in Amurru, an den Ufern des Orontes, reckte die mächtige Stadt Kadesch ihre Mauern und Zinnen in die Höhe. Kadesch aber war seit einiger Zeit in hethitischen Händen.

Aufbruch einer Heeresabteilung

Der Krieg beginnt

Der Seitenwechsel Bentesinas von Amurru war für den hethitischen König Muwatallis Anlaß zur Mobilmachung. Er setzte seine Heere in Bewegung.

Ramses antwortete mit einer Offensive, die ihn binnen nur eines einzigen Monats vor die Tore der Stadt Kadesch führen sollte. Begeistert folgten ihm seine Soldaten, denn " ... für seine Armee war er ein fester Schutzwall, am Tag der Schlacht ihr Schild und ein Bogen, wie er seinesgleichen sucht. Er ist tapferer als vereinte Hundertschaften. Millionen Männer halten ihm nicht stand, sie fallen vor ihm nieder wie verlöschendes Feuer.
Seine Majestät marschiert in Richtung Norden, mit dem Fußvolk und der Wagentruppe."

Mit diesem Aufbruch setzt die ägyptische Überlieferung der Kadesch-Schlacht ein. Es handelt sich dabei um einen langen literarischen Text, das sogenannte Gedicht von Kadesch, daß auf zwei Papyri und mehreren Tempelwänden aufgezeichnet ist. Ergänzt wird es durch eine monumentale Bildkomposition mit Textbeischrift, einem trockeneren, dokumentarischen Bericht.

Ramses hat den Ablauf der Ereignisse für die Nachwelt erhalten wollen. Damit betont er sein tatsächliches geschichtliches Handeln. Er wird zum Zeugen eines neuen Geschichtsbewußtseins, das für seine Epoche kennzeichnend ist.
Von nun an traten konkrete historische Details an die Stelle der zeitlosen Rolle des Königs im Vollzug des Geschichtsrituals. Bislang zerschmetterte der Pharao immer seine Feinde, weil er das auf einer höheren - sozusagen religiösen - Ebene ohnehin tat. Es war seine Rolle im kultischen Drama, das in der Ideenwelt der Ägypter an der Stelle der tatsächlichen Geschichte stand. In der Zeit Ramses' und seiner Nachfolger werden konkrete historische Ereignisse als unmittelbarer Ausdruck göttlichen Willens verstanden und demzufolge auch dargestellt. So betet der König zu Amun: "Was du befiehlst, ist alles, was geschieht!"


Der Kadesch-Bericht spricht von einem geordneten Abmarsch im fünften Jahr, am neunten Tag des zweiten Sommermonats. Das Heer, das ungefähr 20.000 Mann stark war, legte pro Tag etwa 15 bis 20 km zurück. Die Vorhut bildeten Kundschafter, dann folgte der König in seinem Streitwagen, geschützt von seiner Leibgarde. Dahinter das Gros der Streitwagen, zweirädrige Wagen bemannt mit je einem Kämpfer und einem Lenker. Dann kamen die Fußtruppen, eingeteilt in die vier Divisionen des Amun, des Re, des Ptah und des Seth. Während des Vormarsches wurden die Waffen im Troß mitgeführt. In der glühenden Hitze lief es sich leichter ohne Wurfspeer, Pfeile, Bogen, Axt, Schild und Krummschwert. Die Nächte verbrachte man in Zeltlagern, die durch einen Wall von Schilden geschützt wurden. Doch weder bei Nacht noch bei Tag kam es zu irgendwelchen Zwischenfällen. "Seine Truppen durchzogen die Engpässe, als wären sie auf den Straßen Ägyptens."

Spione vor Kadesch

Am 8. Tag des dritten Sommermonats erreichte Ramses mit seinem Heer den Ort Schabtuna etwas südlich von Kadesch und ließ ein Nachtlager errichten. Zuvor hatte sich eine kleine Elitetruppe, die Naruna, vom Hauptteil des Heeres getrennt, um weiter an der Küste nach Norden vorzustoßen und den Bewohnern von Amurru Angst einzujagen.
Von einer Anhöhe aus konnte Ramses die 25 km entfernte Stadt bereits sehen.Truppen vor Kadesch, Relief am Ramesseum

Muwatallis zog unterdessen mit einer gewaltigen Armee aus Hethitern und Männern unterworfener oder verbündeter Länder Richtung Süden. Allein die Masse des Feindes sollte den Ägyptern das Fürchten lehren: Muwatallis, im Kadesch-Bericht nur verächtlich "der elende Besiegte von Hatti" genannt, befehligte mit seinen 37.000 Männern fast doppelt so viele Soldaten wie Ramses. Dazu kamen noch 2.500 Streitwagen.

Der Morgen des 9. Tages im 3. Monat der Sommerzeit brach an.
"Im Zelt Seiner Majestät im Hügelland südlich von Kadesch gab es ein schönes Erwachen zu Leben, Heil und Gesundheit. Dann, in der Morgenzeit erschien Seine Majestät wie der Aufgang des Re. Die herrliche Rüstung des Kriegsgottes Month hatte er angelegt."

Ramses ließ unverzüglich zum Aufbruch blasen. Er rückte weiter am Ostufer des Orontes vor. Er und sein Stab bildeten die Spitze, dahinter marschierte die Division des Amun. Jetzt beging Ramses seinen ersten strategischen Fehler: er überquerte mit dieser Heeresgruppe den Orontes, ohne auf die drei anderen Divisionen zu warten. Der zweite Fehler folgte sogleich.
In einem nahegelegenen Wäldchen zerrten seine Späher zwei Männer aus einem Versteck und schleiften sie vor den Pharao. Vor Angst winselnd sanken die beiden zu Boden und riefen: "Unsere Brüder, welche zu den Großen des Stammes gehören, der sich jetzt unter dem Feind aus dem Hethiterland befindet, haben veranlaßt, daß wir zu Eurer Majestät gekommen sind, um zu sagen: wir wollen Vasallen des Pharao sein, den Fürsten aus dem Hethiterland aber wollen wir verlassen."

Überläufer also! Ramses erfuhr, daß sie zum Stamme der Scha-su-Beduinen gehörten, und fragte: "Wo sind sie, eure Brüder, die euch geschickt haben, um dies Meiner Majestät kundzutun?"

Die Gefangenen antworteten: "Sie befinden sich beim elenden Herrn von Hatti und der hält sich in Aleppo auf, nördlich von Tunip und er fürchtet den Pharao so sehr, daß er sich nicht nach Süden wagt. Denn er hat erfahren, daß der Pharao nach Norden zieht."

Die Vorstellung von einem angstschlotternden Muwatallis gefiel Ramses so gut, daß er den Beduinen glaubte. Was für eine Gelegenheit! Kadesch lag vor ihm, ungeschützt, wie eine reife Frucht, die er nur zu pflücken brauchte! Was konnte ihm schon geschehen, ihm, dem strahlenden Gott?

Doch die Wirklichkeit sah anders aus: die aufgegriffenen Beduinen waren Spione, bezahlte Verräter, ausgeschickt vom hethitischen König selbst, um Ramses in die Falle zu locken. Während die Ägypter Muwatallis weit weg wähnten, lauerte dieser ganz in der Nähe.
"So stand er gerüstet und schlachtbereit hinter Kadesch, aber Seine Majestät wußte nicht, daß er dort war."

Ramses war von Siegeszuversicht so geblendet, daß er alle Vorsicht fahren ließ. Er konsultierte nicht einmal seine Ratgeber, als er den Sturmangriff auf Kadesch befahl, und das nur mit der Division des Amun! Die anderen drei Heeresgruppen wollte er als Sieger von den Zinnen der eroberten Festung willkommen heißen.

"Seine Majestät aber war allein für sich mit seinem Gefolge; die Division des Amun marschierte in seinem Rücken."

Ramses wollte Kadesch von Nordwesten her angreifen. Am Ausgangspunkt für die Attacke ließ er zunächst ein Lager errichten. Da erschien plötzlich einer seiner Kundschafter vor ihm mit zwei neuen Gefangenen im Schlepptau. Es war ihnen deutlich anzusehen, daß man sie verprügelt hatte, um ihnen die Zunge zu lockern.

"Wer seid ihr?" fragte Ramses. Der Atem mag ihm gestockt haben, als er nun die ganze Wahrheit erfuhr.
"Wir gehören zum Herrn von Hatti. Er hat uns geschickt, um den Aufenthaltsort Seiner Majestät auszuspionieren. Siehe, der elende Herr von Hatti ist mit vielen Soldaten fremder Länder herbeigeeilt. Sie sind seine Bundesgenossen. Sie haben ihr Fußvolk und ihre Wagentruppe bei sich. Sie tragen Kriegswaffen und sind zahlreicher als die Sandkörner am Flußufer. Siehe, sie liegen voll gerüstet und kampfbereit hinter der alten Festung Kadesch!"

Das Versagen der Generäle

In dieser dramatischen Situation erwies sich Ramses als geistesgegenwärtig und tatkräftig. Er rief seine Berater zu sich und informierte sie über die drohende Katastrophe. "Die Feinde liegen hinter der alten Festung Kadesch, während meine Statthalter in den fremden Gebieten und unsere Führer, denen die Länder des Pharao unterstehen, nicht imstande waren, uns über ihr Eintreffen in Kenntnis zu setzen!"

Der königliche Generalstab bestätigte zerknirscht: "Es war ein schwerer Fehler, daß der Gouverneur der Fremdländer und die Befehlshaber des Pharao unfähig waren, den Feind aus Hatti von sich aus auszukundschaften, wo immer er auch war, um täglich Seiner Majestät Meldung über ihn zu erstatten."

Fieberhaft überlegte der König. Wie konnte das Blatt gewendet werden? Wenn wenigstens die Division des Re schon hier wäre! Auf die des Ptah und des Seth konnte man in der gegenwärtigen Situation nicht rechnen. Sie waren mit Sicherheit noch zu weit entfernt.

Die Schlacht

Vergebens! Es war schon zu spät. Noch während Ramses Kriegsrat hielt, griff Muwatallis an. Die hethitischen Streitwagen machten sich über die Heeresgruppe des Re her, die den Orontes überquert hatte und ahnungslos am Flußufer entlangmarschierte, um zu Ramses und den Amun-Kämpfern zu stoßen. Muwatallis hatte diesen Angriff eher als Überfall denn als Feldschlacht geplant. Sonst hätte er wohl kaum seine Fußtruppen in Deckung gelassen. Er baute ganz auf das Überraschungsmoment. Die Re-Soldaten hatten jedenfalls keine Chance. Sie wurden zu Hunderten niedergemacht, und wem die Flucht gelang, konnte sich glücklich preisen. In hellichter Panik versuchten die Überlebenden, sich zum König durchzuschlagen, die siegreichen hethitischen Horden dicht auf den Fersen.

Eilends beendete der Pharao die Besprechung, denn der Kriegslärm war schon zu hören. Ein knapper Befehl nach dem anderen ...! Zu den Waffen! Anspannen! Her mit der Leibwache! Wo war der Schildträger?
Die Schlacht; Relief am RamesseumRamses sprang auf seinen Streitwagen, ergriff Pfeil und Bogen und stürzte sich ins Kampfgetümmel. Einen Pfeil nach dem anderen schoß er ab, stieß Schlachtrufe aus, je, er verfiel geradezu in einen Blutrausch.

"Seine Majestät war mächtig, sein Herz war tapfer, niemand konnte vor ihm bestehen.
Seine ganze Umgebung stand in Flammen, mit seinem Gluthauch verbrannte er jedes Fremdland.
Seine Augen waren wild, als er sie erblickte, und seine Macht loderte wie ein Feuer gegen sie auf.
Er scherte sich nicht um die Million Fremdvölker, er betrachtete sie als Stroh, als er hineineilte in die Mitte der Schar der Feinde von Hatti."

Doch auch die Ägypter fürchteten sich sehr. Grauenerregend waren sie, diese Hethiter, wie sie auf ihren Streitwagen standen und Tod säten. Ramses sah sich um, und entdeckte, daß viel weniger Kämpfer an seiner Seite waren, als er erwartet hatte. Wo waren sie, seine tapferen Heerscharen?
Er war allein. Wie ein Schock traf ihn die Erkenntnis. Alle hatten ihn im Stich gelassen, ihn, den König! Nur Gott konnte ihn noch retten. Oder hatte auch Amun ihn verlassen?

Das Eingreifen Amuns

In höchster Not rief Ramses zu Gott.
"Was ist mit dir, mein Vater Amun? Hätte ein Vater jemals seinen Sohn vergessen?
Hätte ich jemals etwas ohne dich getan? Gehe und stehe ich nicht allein nach deinem Wort?"

Immer wieder flehte Ramses zum großen Gott, betonte, er habe doch alles getan, was dieser von ihm verlangt hatte. Jetzt brauchte er Hilfe, so dringend wie nie zuvor!

"Zu dir rufe ich, mein Vater Amun, wärend ich inmitten der Feindesmassen bin, die ich nicht kenne.
Alle Fremdländer haben sich gegen mich vereinigt, während ich ganz allein bin, und niemand bei mir ist.
Meine Truppe hat mich verlassen, von meinen Wagenkämpfern schaut niemand nach mir.
Wenn ich auch schreie nach ihnen, keiner von ihnen hört mich!"

Ramses lieferte sich bewußt der Gnade Gottes aus. Es ist typisch für seine Zeit, daß der König, wie alle Menschen, einen persönlichen Bezug zu den Göttern suchte. Und Ramses betete nicht vergebens. Amun half ihm.
Überwältigt vom göttlichen Gunstbeweis jubelte der König: "Amun war wirksamer für mich als Millionen Truppen und Hunderttausende von Streitwagen.
Ich fand, daß mein Herz fest geworden war und mein Geist freudig. Ich fand, daß die 2500 Streitwagen, die mich umzingelt hatten, zu einem durcheinanderstürzenden Haufen geworden waren vor meinen Pferden."

Starr vor Entsetzen gewahrten die Hethiter den überirdischen Kampfesmut des Pharao.
"Das ist kein Mensch, der in unserer Mitte ist, sondern Seth, groß an Kraft, Baal leibhaftig!
Das, was er tut, sind nicht die Taten eines Menschen!
Fliehen wir, retten wir unser Leben, damit wir weiter atmen können!"

Tatsächlich nahm das Kampfgeschehen eine rettende Wendung. Die Elitetruppe der Naruna, die sich vor Tagen vom Hauptteil des Heeres getrennt hatte, erschien plötzlich auf dem Schlachtfeld.

"Dann fielen die Naruna über die Reihen des elenden Besiegten von Hatti her, die ins Lager des Pharao eingebrochen waren; die Diener Seiner Majestät töteten sie und ließen keinen entrinnen. Ihre Tapferkeit wurde gestärkt durch die große Kraft des Pharao, der als Berg von Kupfer und als Mauer von Eisen für immer hinter ihnen stand."

Der hethitische Gegenangriff endete in einem Blutbad. Muwatallis hatte aus der anfänglichen Überlegenheit kein Kapital schlagen können. War er wirklich so gelähmt vor Schreck über den Kampf des ägyptischen Königs? Oder hatte er die entscheidende Schlacht erst für später geplant? Hätte Muwatallis seine Fußtruppen zu diesem Zeitpunkt eingesetzt, wäre Ramses verloren gewesen. Doch er tat es nicht. Der schon für unabwendbar gehaltene hethitische Sieg wurde so zumindest in ein Unentschieden verwandelt. Fest steht, Ramses ist nur knapp einer militärischen Katastrophe entgangen. Für ihn war klar, wer daran schuld trug: seine Soldaten, allen voran die Offiziere! Sie hatten ihn im Stich gelassen!

"Wie feige sind eure Herzen, meine Wagenkämpfer! Keiner von euch verdient Vertrauen. Ist einer unter euch, dem ich keine Wohltaten erwiesen hätte? Gutwillig habe ich euch zu hohen Offizieren gemacht. Ich habe euch den Arbeitsdienst im Militär erlassen, weil ich mir sagte: 'Sie werden sich nicht verändert haben, wenn sie mit mir in die Schlacht ziehen.' Aber siehe, kein Mann unter euch blieb bei mir, um mir im Kampf die Hand zu reichen. Seht, Amun hat mir den Sieg gegeben, als weder die Infanterie noch die Wagentruppe mir zur Seite stand. Ich war allein, kein hoher Offizier ist mir gefolgt, kein Wagenkämpfer, kein Soldat meiner Armee und kein Hauptmann!"

Dem Offizierskorps der ägyptischen Armee wurde im Kadesch-Gedicht ein so miserables Zeugnis ausgestellt, daß man durchaus propagandistische Absicht dahinter vermuten kann. Ramses wollte den Einfluß des Militärs auf den Staat begrenzen. Für die Zukunft schwebte ihm eine Politik des Friedens vor. Indem er den Heerführern völliges Versagen vorwarf, nahm er ihnen von vorneherein die Möglichkeit, Einwände dagegen vorzubringen.

Mit zwei aufgeriebenen Heeresabteilungen waren weder Schlacht noch Krieg zu gewinnen, umso weniger als auf dem anderen Ufer des Orontes 37.000 ausgeruhte hethitische Soldaten warteten. Ramses setzte alles daran, einen Waffenstillstand zuwege zu bringen, der ihn als friedliebenden Herrscher in Szene setzen würde. Zu Hause konnte er die Schlacht dann als Sieg darstellen und Muwatallis als Gegner beschreiben, der gedemütigt um Frieden gebettelt hat.

"Dein Diener spricht und läßt verbreiten, daß du der Sohn des Re bist. Das Land Ägypten und das Land Hatti sind dein, sie liegen unter deinen Füßen. Siehe, deine Macht ist groß, deine Stärke lastet schwer auf dem Land Hatti. Sei nicht hart in deinem Tun, siegreicher König! Frieden ist besser als Krieg! Laßt uns leben!"

Das ägyptische Heer kehrt heim. Relief am RamesseumRamses war einverstanden. Er kehrte in seine Hauptstadt Pi-Ramesse zurück. Die Stadt Kadesch ließ er fürs Erste den Hethitern.

Der Friedensvertrag

Bis zu einem offiziellen Frieden zwischen Ägypten und Hatti dauerte es noch Jahre und erforderte viele weitere Feldzüge, in denen Ramses wesentlich erfolgreicher kämpfte als in Kadesch. Das Hethiterreich schwächte sich dagegen nach dem Tode Muwatallis' durch Thronstreitigkeiten selbst. Im 21. Jahr seiner Regierung schloß Ramses mit dem neuen König Hattuschilis den ersten bekannten Friedensvertrag der Weltgeschichte. Der Vertrag war in babylonischer Sprache abgefaßt, der Diplomatensprache der damaligen Zeit. Hethitische und ägyptische Rechtsgelehrte hatten bei der Endfassung zusammengearbeitet.

Ramses ließ den Vertragstext an die Mauern des Tempels von Karnak und an die seines Totentempels meißeln. Die hethitische Version wurde bei den Ausgrabungen der hethitischen Hauptstadt Hattuscha in Anatolien gefunden. Beide Versionen waren in den grundlegenden Punkten identisch. Zwei Hauptanliegen bildeten den Kern des Inhalts: Brüderlichkeit und Frieden. Beide Parteien verpflichteten sich zu gegenseitigem Respekt, Anerkennung der Legitimität des jeweiligen Herrschers, zu Waffenhilfe, Flüchtlingsaustausch und Amnestie für Gefangene. Im wesentlichen entsprechen die Vertragsinhalte dem, was auch heute in völkerrechtlichen Verträgen niedergelegt wird.

Die beiden Könige, Ramses und Hattuschilis standen in regem Briefkontakt. Immer wieder wird in den Briefen Ramses II. die große Freude über den Friedensschluß deutlich. Er wollte ein König des Friedens werden und Freundschaft stiften zwischen ihm und Hattuschilis, zwischen Ägypten und dem Hethiterreich.

"Und was mein Bruder mir geschrieben hat, lautet wie folgt: die Gottheit wird in Ewigkeit nicht zulassen, daß gegen das andere Land Feindseligkeiten ausgeübt werden - so hat mein Bruder mir geschrieben; der Sonnengott der Ägypter und der Wettergott der Hethiter werden alle guten Beziehungen gewähren; sie werden gewähren, daß alle Beziehungen bewirkt werden, die ich ersehne. Und siehe, sehr schön ist die Silbertafel, die mir mein Bruder gesandt hat, um große Bruderschaft und großen Frieden zu gewähren und auf ewig nicht zuzulasssen, daß Feindschaft zwischen dem Land Ägypten und dem Hethiterland entsteht."

Für diesen Text habe ich hauptsächlich verwendet:

Jan Assmann: Ägypten, eine Sinngeschichte, München, Hanser, 1996
Schlögl, Hermann A.: Ramses II., Rowohlt, 1993
Desroches Noblecourt, Christiane: Ramses, Sonne Ägyptens, Lübbe, 1997