Die Familie des Kaisers Augustus

Ehebruch , öffentliche Entgleisungen, unbotmäßige Söhne und Töchter, heimliche Liebschaften..., Skandale in den ersten Familien des Landes haben die Menschen schon immer fasziniert. Was den heutigen Zeitgenossen die Windsors oder die Kennedys, war für die Römer der Zeitenwende die Familie des Princeps. Augustus hat einen genialen Neubau des Staates zuwege gebracht, für seine Familie besaß er dagegen keine so glückliche Hand. Unter seinen Lieben suchte man die altrömische Tugend vergebens, die er von den römischen Bürgern durchaus forderte. Schon er selbst verstieß seine erste Frau und nahm ihr die gemeinsame Tochter Julia fort, als er Livia Drusilla heiraten wollte. Die mußte er dafür erst ihrem Ehemann wegnehmen. Livia hatte zu dem Zeitpunkt bereits einen Sohn und war mit einem weiteren schwanger. Als Kaiserin führte sie ein strenges Regiment im Palast, unter dem Augustus' leichtlebige Tochter später sehr zu leiden hatte. Aber auch von ihrem Vater wurde Julia rücksichtlos benutzt. Er verheiratete sie dreimal, ohne daß sie dabei nach ihren Wünschen gefragt wurde. Söhne sollte sie gebären, um die Erbfolge zu sichern. Julia tat, was sie konnte, doch ihre ersten Ehemänner starben ebenso wie ihre Söhne. Schon der Geschichtsschreiber Tacitus fand es sehr eigenartig, daß in Punkto Thronfolge zum Schluß nur Livias Sohn Tiberius als Nachfolgekandidat übriggeblieben war. Steckte Livia hinter den vielen mysteriösen Todesfällen? Julia nahm ein tragisches Ende: ihr wurden Liebhaber, Orgien und Störung der öffentlichen Ruhe vorgeworfen; schließlich wurde sie auch noch der Verschwörung gegen ihren Vater bezichtigt und auf eine einsame Insel verbannt, wo sie nach Jahren starb. Ihre gleichnamige Tochter erlitt wenige Jahre danach dasselbe Schicksal.
Daß die Ehe zwischen Augustus und Livia Bestand hatte, dafür hatte die kluge Kaiserin vorgesorgt. Sie machte sich für ihn intellektuell unentbehrlich und versorgte ihn mit jungen Mädchen, wenn ihr dies angebracht schien.
Was familiäre Harmonie und Zusammenhalt betrifft, so waren die Verhältnisse im julisch-claudischen Herrscherhaus geradezu trostlos und wie die Geschichte zeigt, wurde es in der Folgezeit eher noch schlimmer.

Der Augusteische Staat
Scribonia
Livia Drusilla
Die Tragödie der Iulia
Die Frage der Nachfolge

Augustus als Ponifex Maximus

Der Augusteische Staat

"Nichts können die Menschen von den Göttern erflehen, was nicht Augustus dem Staat, dem römischen Volk und dem Erdkreis vor Augen gestellt hätte: der zwanzigjährige Bürgerkrieg wurde beendet, die auswärtigen Kriege niedergeschlagen, der Friede zurückgerufen, die Raserei der Waffen unterdrückt. Den Gesetzen wurde ihr Gewicht, den Gerichten ihr Ansehen, dem Senat seine hohe Würde zurückgegeben."

Die Augustus-Statue von Primaporta, Rom Vaticanische MuseenDas Lebenswerk des ersten römischen Kaisers wurde nicht von allen so bewundert wie von diesem schwärmerischen Zeitgenossen. Augustus hat zwar zeitlebens betont, er habe die römische Republik wiederhergestellt, aber es war nicht zu übersehen, daß sich das Staatswesen unter seiner Herrschaft doch sehr verändert hatte. Nichts war so wie früher, klagte der Geschichtsschreiber Tacitus: "So hatte sich denn die Staatsform gewandelt, und nirgends hatte diese Wandlung eine Spur der alten Sittenreinheit hinterlassen. Die Gleichheit der Staatsbürger war beseitigt, und alle schauten nur noch auf die Befehle des Princeps."

Seit seinem Sieg über Antonius und Kleopatra war Augustus, der damals noch Octavian hieß, Alleinherrscher über das römische Weltreich. Als Adoptivsohn des ermordeten Diktators Gaius Julius Caesar hatte er sich auch dessen totalen Machtanspruch zu eigen gemacht. Octavian gelang es, den Krieg zu beenden. Deshalb konnten die Wirtschaft und damit auch der Wohlstand aufblühen. So störten sich nur wenige am Verlust realer politischer Rechte, umso mehr als Octavian sich die Alleinherrschaft durch die republikanischen Staatsorgane bestätigen ließ. So erfolgreich war Augustus bei der Erneuerung des Staates, daß seine ganze Epoche nach ihm benannt wurde. Das augusteische Zeitalter steht für Frieden, Wohlstand und kulturelle Blüte.
"Für dieses mein Verdienst wurde mir auf Beschluß des Senats der Name Augustus gegeben," sagte Augustus.

Nun war aus Octavian also Kaiser Augustus geworden. Er trat auf mit einem ganz neuem Machtanspruch und wollte doch einen Staat mit alten Werten. Wie aber stand es damals mit den vielgepriesenen altrömischen Tugenden? Es stand schlecht: "Die an Sünde reiche Zeit hat zuerst Ehe, Familie und Haus befleckt. Aus dieser Quelle fließend, hat sich das Unheil über Staat und Volk ergossen." (Horaz)

So berichten die Chronisten. Die Reichen wollten das Leben genießen, wollten feiern, sich der Kunst und raffinierten Tafelfreuden hingeben; Familie, Kinder, sittsames Leben, all das störte nur, deshalb vermied man es so gut es ging. Also erließ Augustus strenge Ehe- und Sittengesetze, um diesem Trend entgegenzuwirken. Römer der Oberschicht sollten zur Ehe verpflichtet und Verheiratete, sowie Kinderreiche bei der Ämtervergabe bevorzugt wurden.
Im Senat warb Augustus vehement für diese Gesetze: "Wenn wir ganz unbeweibt leben könnten, würden wohl alle sich dem Ungemach der Ehe gern entziehen. Weil nun aber die Natur es einmal so eingerichtet hat, daß man weder mit ihnen in aller Bequemlichkeit leben kann, noch ohne sie überhaupt ein Leben zu denken ist, so muß man mehr auf das fortdauernde Wohl als auf das kurze Vergnügen Rücksicht nehmen."

Diese staatliche Gängelung erwies sich jedoch als völliger Fehlschlag. Die Römer fanden jedes rechtliche Schlupfloch, um die neuen Gesetze zu umgehen.

Die römische Gesellschaft war also nicht sehr sittenstreng, dafür aber ganz besonders daran interessiert, ob die kaiserliche Familie selbst den hohen moralischen Ansprüche genügte. Allmorgendlich drängelten sich die Menschen auf dem Forum vor den "Acta Diurna", der öffentlich angeschlagenen Tageszeitung. Hier war nachzulesen, was sich an freudigen oder tragischen Ereignissen im Herrscherhaus zugetragen hatte. Und siehe da: für ein sittsames und tugendhaftes Familienleben konnte die Familie des Augustus kaum als Vorbild dienen.


Scribonia

In seiner Jugend war Augustus, damals noch Octavian, zweimal aus politischen Gründen verlobt und einmal verheiratet gewesen. Nach der Scheidung nahm er Scribonia, eine viel ältere Frau zur Gemahlin, die ihrerseits schon zweimal verheiratet gewesen war. Auch diese Ehe diente politischen Zwecken, doch blieb sie von Bedeutung, denn aus ihr stammt das einzige leibliche Kind des Augustus: seine Tochter Julia. Über das Ende dieser Verbindung schreibt der Biograph Sueton lakonisch: "Auch von dieser ließ er sich scheiden, ... und heiratete unmittelbar darauf Livia Drusilla, die er ihrem Gemahl Tiberius Nero trotz ihrer Schwangerschaft wegnahm."

Hinter diesen dürren Worten verbergen sich zwei Tragödien. Scribonia war gerade von Julia entbunden worden und lag im Wochenbett, als der Bote ihres Mannes Octavian ihr den Scheidebrief brachte und ihr kühl mitteilte, daß ihr auch das Kind weggenommen werde. Warum? Octavian gab wohl einen Grund an ... ("Angeekelt bin ich von ihrem unsittlichen Lebenswandel!") ... doch das war ein fadenscheiniger Vorwand. In Wirklichkeit wollte Octavian Scribonia loswerden, denn er hatte sich verliebt. Zum ersten Mal und so gründlich, daß die Verbindung zu Livia Drusilla ein ganzes Leben lang halten sollte. Einen kleinen Schönheitsfehler hatte die Angelegenheit allerdings: Livia war ihrerseits bereits verheiratet, mit Tiberius Claudius Nero nämlich, von dem sie einen kleinen Sohn namens Tiberius hatte. Außerdem war sie erneut im sechsten Monat schwanger.

Octavian war zu dieser Zeit bereits so mächtig, daß die Priesterkollegien keinen Einwand erhoben, als er Livia ihrem Gatten einfach wegnahm und am 17. Januar des Jahres 38 v. C. heiratete. Pünktlich drei Monate später gebar Livia ihren zweiten Sohn Drusus.

"Wer Glück hat, der bekommt auch ein Dreimonatskind!" ... spottete man hocherfreut über diesen Skandal. Der leibliche Vater der beiden Kinder starb nach kurzer Zeit und so wuchsen Tiberius und Drusus in der kaiserlichen Familie auf.


Livia Drusilla

Livia Drusilla

Die junge Livia war eine außergewöhnliche Frau. Sie gehörte dem ehrwürdigen Adelsgeschlecht der Claudier an und verfügte über ein ausgeprägtes Standesbewußtsein. Altrömische Traditionen und Wertvortellungen liebte sie ebenso wie ihr kaiserlicher Gemahl. Das Besondere an Livia war ihre Intelligenz und ihr feines Gespür für politische Notwendigkeiten. Augustus hat die Gespräche mit seiner Frau sein ganzes Leben lang als Herausforderung empfunden. Gelegentlich bereitete er sich auf sie sogar schriftlich vor.
"Gespräche mit Einzelpersonen und auch wichtigere mit seiner Gattin Livia führte er nur, nachdem er sie schriftlich in seinem Notizbuch festgelegt hatte, damit er nicht improvisierend zuviel oder zuwenig sage."

Das römische Volk reagierte auf Livias großen Einfluß teils amüsiert, teils befremdet. Als "Odysseus im Weiberrock" hat sie später ihr Enkel Caligula etwas ungnädig bezeichnet und ihre Zeitgenossen fragten sich manchmal, wer nun eigentlich im Land das Sagen habe. "Augustus regiert das Reich, Livia aber regiert Augustus!"

Und Livia selber? Sie wurde die perfekte "Frau an seiner Seite", beriet und unterstützte Augustus und führte die Familie mit eiserner Hand. Ihr Patentrezept für eine glückliche Ehe lautete: "Ich lebte selbst in allen Züchten und Ehren, tat alles, was meinem Mann angenehm war, mit Freuden, mischte mich nicht in seine Händel, zankte nicht über seine Liebesabenteuer und tat, als ob ich nichts davon wüßte."

Tatsächlich war Augustus während seiner Ehe alles andere als treu. Seine außerehelichen Affairen waren stadtbekannt. Man erzählte sich, ...
"... daß er einmal die Frau eines Konsuls unter den Augen ihres Gatten aus dem Speisesaal ins Schlafzimmer geführt und mit roten Ohren und in Unordnung geratenem Haar wieder zur Gesellschaft zurückgebracht habe." (Sueton, Augustus)

Seit jeher hatte Augustus in amouröser Beziehung getan, was er wollte. Als junger Mann hatte er einmal seinem Bürgerkriegsgegner Antonius vorgehalten, daß der mit Königin Kleopatra schlafe. Antonius antwortete spöttisch: "Und du? Schläfst du nur bei Drusilla? Wahrscheinlich ist es doch so, daß du, wenn du diesen Brief liest, bei Tertulla oder Terentilla oder Rufilla oder Salvia Titisenia oder bei allen zusammen geschlafen hast. Kommt es denn darauf an, wo und mit wem man seine Lust befriedigt?"

Als Augustus ein alter Mann geworden war, soll Livia sogar höchstpersönlich die Auswahl seiner Bettgefährtinnen besorgt haben, wie der Chronist Sueton genüßlich erzählt: "Der Sinnlichkeit blieb er allerdings immer verfallen und in späteren Jahren soll er besonders auf junge Mädchen versessen gewesen sein, die ihm seine Frau selber von überall her verschaffte."

Zu ihrem großen Kummer blieben Livia und Augustus eigene Kinder versagt. Augustus aber wollte seine kaiserliche Würde unbedingt an seine Blutsverwandten weitergeben. Nur so, glaubte er, könne der römische Staat auch in Zukunft bestehen, ohne daß machthungrige Generäle sich um ihn stritten wie wilde Tiere um einen Kadaver. Er hoffte, "die res publica heil und unversehrt auf eine sichere Grundlage zu stellen."

Deshalb sollte ein Nachfolger aus seiner Familie das Werk sichern und bewahren. Also rückten seine Tochter Julia und Livias Söhne Tiberius und Drusus in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

Die Tragödie der Iulia

Für Julias Erziehung spielte die Stiefmutter natürlich eine wichtige Rolle. Möglicherweise wollte Livia für das junge Mädchen ein Vorbild sein, denn sie versuchte im Lauf der Jahre immer mehr, dem Idealbild einer altrömischen Matrone zu entsprechen. Sie spann und webte alle Gewänder ihres Gemahls und wachte streng über die junge Julia. Genauso altrömisch-tugendhaft sollte die Kaisertochter auch werden, darin war Livia mit Augustus einer Meinung.

"Ich habe zwei Töchter, die mir schwer zu schaffen machen, die Res Publica und Julia," klagte Augustus.

Julia aber war ein fröhliches und lebenslustiges Mädchen. Sie litt sehr unter dem harten Regiment ihrer Stiefmutter. Als sie fünfzehn Jahre alt wurde, verheiratete sie Augustus mit dem Sohn seiner Schwester Octavia, dem 17jährigen Marcellus. Der junge Mann war somit für die Nachfolge in Aussicht genommen und schien eine glänzende Zukunft vor sich zu haben. War Julia mit dieser Heirat einverstanden? Augustus fragte nicht danach. Ihm ging es nur um seine dynastischen Ziele. Schon zwei Jahre später starb Marcellus an einer Seuche. Alles trauerte um ihn und besonders seine Mutter Octavia war untröstlich.
"Kein Bild besitzen wollte sie von ihrem heißgeliebten Sohn, keine Erwähnung seiner in ihrer Gegenwart dulden."

Und plötzlich tauchten furchtbare Gerüchte auf: hatte Livia etwas zu tun mit dem Tod des Marcellus? Augustus hatte ja keinen ihrer Söhne als seinen Nachfolger bestimmt. Doch entweder wußte Augustus von diesen Gerüchten nichts oder er wies sie als absurd zurück.
Livias Söhne, Tiberius und Drusus, führten erfolgreiche Feldzüge gegen die Germanen und sicherten die Grenze zu diesem unwirtlichen Barbarenland. Es war Drusus, der das befestigte Militärlager gründete, aus dem sich die Stadt Augsburg entwickeln sollte und es war Drusus, den Augustus dem älteren Tiberius bei weitem vorzog und damit war er nicht der einzige. Praktisch jeder liebte Drusus wegen seines offenen und freundlichen Wesen, von seinem Bruder dagegen ...

"... haben einige berichtet, Augustus habe öffentlich und ohne Hehl das finstere Gemüt des Tiberius verurteilt, manchmal sei er sogar soweit gegangen, bei seinem Erscheinen unbeschwerte und heitere Gespräche abzubrechen."

Marcus Vipsanius AgrippaNach dem Tod des Marcellus gab Augustus keinem der Söhne Livias die Hand seiner Tochter. Es gab nämlich noch einen Kandidaten: seinen Jugendfreund, den mächtigen Feldherrn Marcus Vipsanius Agrippa. Agrippa grollte sowieso schon, daß Augustus Julia nicht als erstes ihm gegeben hatte und einen grünen Jungen wie Marcellus vorgezogen hatte. Als Augustus in dieser Situation der kluge Rat erteilt wurde: "Bring' ihn um, oder mach' ihn zum Schwiegersohn!", wählte der Kaiser letzteres und Julia wurde in ihre zweite Ehe hineinkommandiert.

Die achtzehnjährige Julia gehorchte. Ob ihr der 42jährige Ehemann gefiel, ist nicht überliefert. Sie bekam fünf Kinder, davon waren gleich die ersten die ersehnten Stammhalter Gaius und Lucius. Großvater Augustus zeigte sich entzückt; Julia allerdings dürfte wenig begeistert gewesen sein, daß er ihr die beiden Jungen sofort wegnahm und als seine eigenen Söhne adoptierte. Trotz ihrer Mutterschaft liebte Julia auch weiterhin das fröhliche Leben und umgab sich mit einer Menge junger Männer. Ob das der richtige Umgang für sie wäre, fragte Augustus und setzte hinzu, sie solle lieber Livia nacheifern, schließlich seien in deren Gesellschaft nur ältere, seriöse Männer zu finden.
"Keine Sorge, Vater, auch diese Männer werden mit mir zusammen Greise sein,"soll Julia geantwortet haben. Zwänge hin, Verpflichtung her, stolz war Julia schon auf ihre Stellung. An der vielgepriesenen schlichten Lebenshaltung ihres Vaters mochte sie sich nicht unbedingt ein Beispiel nehmen.

"Er vergißt, daß er Caesar ist, ich aber denke daran, daß ich Caesars Tochter bin!"

Julias Ruf blieb denkbar schlecht. Ihr lockerer Lebenswandel lieferte Stoff für endlosen Klatsch und Tratsch. Wie es denn käme, so fragte man sie, daß alle ihre Kinder tatsächlich ihrem Vater Agrippa ähnlich sähen. Julia antwortete mit einem ausgesprochen derben Witz: "Nur wenn das Schiff beladen ist, nehme ich einen Passagier auf!"

Völlig unerwartet starb Marcus Agrippa im Jahr 12 n. Chr. Was sollte Augustus nun tun mit der "lustigen Witwe"? Julia mußte schleunigst wieder unter Dach und Fach gebracht werden, zu offenkundig war die Entrüstung und Belustigung der Römer über die Kaisertochter. Augustus schaute sich lange ...
"... nach einer passenden Partie für sie um, wählte schließlich seinen Stiefsohn Tiberius und zwang ihn, seine Frau, obgleich sie ihm schon ein Kind geschenkt hatte und eben gerade wieder schwanger war, zu verlassen."


Tiberius Claudius NeroTiberius liebte seine erste Frau Agrippina, Julia dagegen konnte er nicht leiden.
"Dies bereitete ihm großen Kummer, da er an Agrippina sehr hing und den Lebenswandel Julias verurteilte. Nach der Scheidung schmerzte es ihn sehr, Agrippina verstoßen zu haben und als er ihr einmal begegnete, folgte er ihr mit solch seligen Blicken, aber mit Tränen in den Augen, daß man in Zukunft darauf achtete, sie nicht mehr zusammentreffen zu lassen."

Warum hat Tiberius in diese Ehe eingewilligt? Vermutlich hat er gehofft, daß Augustus ihn nun, da er Julias Ehemann war, an die erste Stelle der Thronfolge setzen würde. Der Tod seines Bruders Drusus im Jahr 9 v. C. mag ihn in dieser Hoffnung bestärkt haben. Der allseits beliebte Drusus war vom Pferd gestürzt und hatte sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen. Tiberius hat seinem Bruder sicher nichts Böses gewünscht, der Verlust schmerzte ihn sehr und die Trauer umdüsterte sein Gemüt noch mehr. Auch Livia wurde strenger und härter.

Augustus jedoch konnte sich immer noch nicht für Tiberius begeistern. Er zog seine Enkelsöhne Gaius und Lucius vor. Diese beiden, übrigens ziemlich verzogenen jungen Männer, sollten nun seine Erben werden, nicht der ungeliebte Stiefsohn. Verbittert und beleidigt verzichtete Tiberius auf alle seine Ämter, verließ Rom und lebte sieben Jahre lang in Rhodos, um, wie er sagte, dort zu studieren. Auf diese Weise mußte er auch Julia nicht mehr sehen.

Julias Lebenswandel änderte sich dadurch nicht: Feste, Trinkgelage, nächtliches Lärmen auf dem Forum, ein Schwarm hübscher junger Männer - sie nahm sich was sie kriegen konnte.
Augustus drückte eine Weile beide Augen zu, obwohl Livia ihn mehrfach aufforderte etwas zu unternehmen. Erst als man Julia bezichtigte, gleich vier Verschwörungen gegen ihn angezettelt zu haben, schritt er ein. Dann aber mit aller Macht und erstaunlich erbarmungslos.
"Über seine Tochter ließ er im Senat, ohne selbst zu erscheinen, durch den Quästor einen Bericht verlesen und hielt sich lange aus Scham der Öffentlichkeit fern; auch trug er sich mit dem Gedanken, sie töten zu lassen."
Als eine Dienerin Julias, eine gewisse Phoebe, sich erhängte, um nicht gegen ihre Herrin aussagen zu müssen, rief Augustus aus: "Ach wäre ich doch Phoebes und nicht Julias Vater!"

Augustus bestrafte seine Tochter unbarmherzig und blieb allen Bitten um Gnade gegenüber taub. Obwohl selbst Tiberius aus dem fernen Rhodos schrieb und für Julia eintrat, ließ sich der Kaiser nicht erweichen. Julia wurde auf die felsige Insel Pandateria vor der campanischen Küste verbannt. Nur ihre Mutter Scribonia durfte sie begleiteten. Einsam und freudlos fristete Julia von nun an ein recht ärmliches Dasein.
"In der Verbannung verbot er ihr das Weintrinken und jeden Luxus und gestattete weder einem Freien noch einem Sklaven, außer mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis, den Zutritt zu ihr."

Nie wieder erlaubte Augustus seiner Tochter, zurückzukehren. Julia lebte ganze sechzehn Jahre in der Verbannung, bevor sie starb.


Die Frage der Nachfolge

Augustus setzte nun alle Hoffnung auf seine beiden Enkelsöhne Gaius und Lucius. Vor allem Gaius liebte er besonders. Weilte dieser außerhalb von Rom, hielt Augustus ständigen Briefkontakt mit ihm: "Sei mir gegrüßt, mein Gaius, du liebes kleines Arbeitstier. Nach dir sehne ich mich, die Götter wissen es, immer wenn du fern von mir bist. Aber ganz besonders an solchen Tagen, wie dem heutigen, da suchen meine Augen allenthalben meinen Gaius, und mir bleibt nur die Hoffnung, daß, wo auch immer du an diesem Tage bist, du doch sicher heiter und gesund meinen 64. Geburtstag gefeiert hast. Denn wie du siehst, habe ich das für alte Leute hochkritische Jahr glücklich überstanden. Solange mir noch Zeit zum Leben übrigbleibt, bitte ich die Götter, uns gesund zu erhalten und mich den Rest meiner Tage im Angesicht eines blühenden Staatswesens verleben, sowie euch nach meinem Heimgang als treffliche Männer Nachfolger auf meinem Posten werden zu lassen."

Doch der alternde Kaiser verlor seine beiden Enkelsöhne Gaius und Lucius innerhalb weniger Jahre, 2 v. C. starb Lucius und 4 n. C. Gaius. Ab da verfiel Augustus immer häufiger in Depressionen. Alle diejenigen, die ihm als Nachfolger gefallen hätten, waren tot, übriggeblieben war nur noch Livias düsterer Sohn Tiberius.

War es nicht eigenartig, fragten sich die Zeitgenossen, daß nach einer so langen Reihe vorzeitiger Todesfälle nur noch Tiberius als Nachfolgekandidat lebte? Ausgerechnet Tiberius, den Augustus nie in diese Stellung hatte einsetzen wollen! Der Geschichtsschreiber Tacitus war der erste von mehreren Autoren, die den furchtbaren Verdacht aussprachen, Livia könnte mehrere Morde verübt haben.
"Als Agrippa aus dem Leben geschieden war, raffte den Lucius Caesar während einer Reise zu den spanischen Heeren und den an einer Verwundung leidenden Gaius auf dem Rückwege von Armenien ein frühzeitiges Todesgeschick - oder auch ein hinterhältiger Anschlag ihrer Stiefmutter Livia - hinweg. Da Drusus schon lange gestorben war, war Tiberius Nero allein von den Stiefsöhnen noch übrig, und damit fiel ihm alles zu. Er wurde adoptiert, zum Mitregenten und Mitinhaber der tribunizischen Gewalt gemacht und sämtlichen Heeren vorgestellt, wobei seine Mutter nicht mehr, wie früher, zu dunklen Machenschaften griff, sondern in aller Öffentlichkeit die treibende Kraft war."

War Livia eine Mörderin? Es gibt keinen Hinweis darauf, daßsie tatsächlich etwas mit den Todesfällen in der Familie zu tun gehabt hätte. Diese Unterstellungen sind kaum mehr als üble Verleumdungen, allerdings begierig aufgegriffen von damaligen Klatschmäulern und heutigen Romanschriftstellern.

Die Kette der Tragödien in der kaiserlichen Familie riß jedoch nicht ab: jetzt bereiteten Augustus seine Enkelin Julia und sein Enkel Agrippa Postumus schweren Kummer. Beide waren Kinder seiner Tochter Julia. Auch die jüngere Julia erlaubte sich einen zu fröhlichen Lebenswandel, auch sie soll sich gegen Augustus verschworen haben, auch sie wurde auf eine einsame Insel festgesetzt. In diesen Skandal war auch der Dichter Ovid verwickelt, den Augustus an die Küste des schwarzen Meeres verbannte. Von dort aus beweinte Ovid mit vielen Trauergedichten sein Schicksal. Und Agrippa Postumus, der letzte Enkel?

"Agrippa, der mit der Zeit immer weniger umgänglich wurde, ja sogar mehr und mehr geistiger Umnachtung verfiel, ließ er auf eine Insel bringen und außerdem militärisch bewachen. Ferner wurde zur Vorsicht durch einen Senatsbeschluß seine lebenslängliche Haft an diesem Ort offiziell festgelegt. Auch pflegte er bei jeder Erwähnung Agrippas oder der beiden Julias seufzend den griechischen Vers zu zitieren: "Wär' ich doch ehelos geblieben und kinderlos einsam gestorben!"


"So nannte er sie auch immer nur seine drei Eiterbeulen oder seine drei Krebsgeschwüre."

Mausoleum der julisch-claudischen Familie, RekonstruktionszeichnungMit Tiberius scheint sich Augustus gegen Ende seines Lebens mehr und mehr angefreundet zu haben. Zumindest hoffte er inständig, daß wenigstens er ein fähiger Nachfolger sein werde. "Höre und lese ich, daß du durch die ewigen Mühen schwer mitgenommen bist, dann schaudert's mich, Gott straf' mich am ganzen Leib. Bitte schone dich, damit ich nicht hören muß, du seist krank, und ich und deine Mutter vor Kummer sterben und das römische Volk um die Existenz seines Reiches zittert!"
Im Jahr 14 n. C. starb Augustus in dem kleinen Städtchen Nola in der Nähe von Rom. Seine Freunde waren um ihn versammelt und er verabschiedete sich von ihnen mit den Worten eines Schauspielers, der von der Bühne abtritt. "Habe ich mein Spiel gut gespielt, dann spendet mir Beifall und gebt mir alle als Freunde das Geleit." Zum Schluß wandte er sich an seine Frau: "Lebewohl, Livia, und gedenke immer unseres gemeinsamen Lebens!"

Mit diesen Worten starb Kaiser Augustus und das römische Reich erhielt in Tiberius einen neuen Princeps. In der kaiserlichen Familie aber blieben Haß und böser Ehrgeiz die treibenden Kräfte. Augustus hatte es nicht geschafft, ein glücklicher Familienvater zu werden, dafür aber ging er als "Vater des Vaterlandes" in die Geschichte ein. Jedenfalls behauptet das der Philosoph Seneca: "Daß er ein Gott war, das glauben wir, aber nicht auf Geheiß von oben; wir bekennen nämlich, daß Augustus ein guter Princeps war und den Namen eines Vaters wohl verdiente."