"Verbrecher! Umstürzler! Mist des Rathauses!"
So nannten konservative Senatoren im Rom des Jahres 100 v. Chr. den Volkstribunen Lucius Appuleius Saturninus und seinen Gesinnungsgenossen Gaius Servilius Glaucia. Die beiden setzten populare Politik, Politik im Interesse des Volkes, gegen die sich erbitternd wehrende Senatsaristokratie durch. Die Senatoren fürchten um ihre Pfründe. Seit den Tagen der Gracchen hatte sich niemand mehr so nachdrücklich um das einfache Volk gekümmert wie Saturninus. Hinter dem Volkstribunen stand der erfolgreiche Feldherr Gaius Marius, der sich auf dem Feld der Innenpolitik allerdings als Versager erwies. Er schwankte zwischen dem Lager der Popularen und der Senatsaristokratie hin und her und verdarb es sich letztlich mit beiden.
Saturninus brachte nützliche Gesetze auf den Weg, bediente sich aber brutaler Methoden bei der Durchsetzung seiner Ziele. Schlägerbanden terrorisierten politische Gegner, Knüttelgarden kontrollierten die Volksversammlung, ja, es kam mehrfach zu politischem Mord. Als Saturninus schließlich den Konkurrenten des Glaucia für das Consulat einfach totschlagen ließ, hatte er nur noch Gegner. Er und seine Gesinnungsgenossen wurden im Senatsgebäude eingeschlossen und endeten durch rohe Lynchjustiz. Sie wurden mit Dachziegeln zu Tode gesteinigt. Gaius Marius, der bei diesen Ereignissen eine erbärmliche Rolle gespielt hatte, war danach politisch ein toter Mann.
Saturninus und Gaius Marius
Saturninus - ein popularis
Saturninus - der Feind des Senats
Die Equitius-Affäre
Saturninus und Glaucia - populare Politik mit Terror
Die Demontage des Gaius Marius
Quintus Caecilius Metellus Numidicus - ein Mann mit Rückgrat
Gaius Marius - der Opportunist
Mord an Memmius
Lynchjustiz
Saturminus - das Fazit
"Lucius Saturninus war ein so wütender und fast wahnsinniger Mann, daß man ihn als bewunderungswürdigen Führer bezeichnen kann - perfekt, wenn es darum ging, die Gemüter der Unwissenden aufzuwühlen und zu entflammen."
Der Staatsmann Cicero beschrieb im 1. Jahrhundert vor Chr. den Volkstribunen Lucius Appuleius Saturninus Jahrzehnte nach dessen Tod als einen Demagogen, der sich für seine Zwecke skrupellos der wankelmütigen Menge bediente. Cicero hat Saturninus mit den Augen eines konservativen Senators gesehen. Sozialreformen erschienen ihm verdächtig, anti-senatorisch oder gar umstürzlerisch. Verdächtig war auch, daß Saturninus in enger Verbindung zu Gaius Marius gestanden hatte, einem politischen Emporkömmling aus dem Ritterstand. Ihn duldete die alteingesessene Senatsaristokratie zähneknirschend nur wegen seiner militärischen Erfolge.
Rom, im Jahr 104 v. Chr.
Gaius Marius war der erste Mann in Rom. Der erfolgreiche Feldherr hatte den
Numiderkönig Jugurtha besiegt und bekleidete zum zweiten Mal das höchste
Regierungsamt in Rom: das Consulat. Schwere Gefahren wurden aus dem Norden gemeldet:
die germanischen Stämme der Cimbern und Teutonen bedrohten das Reich. Germanische
und keltische Stämme hatten den römischen Legionen in Südgallien
bei der Stadt Arausio eine vernichtende Niederlage beigebracht. Da betraute
der Senat widerwillig Gaius Marius mit dem Kommando gegen die Germanen. Gegen
jede Tradition wurde der Feldherr in der Folgezeit Jahr für Jahr zum Consul
gewählt. Da Marius Krieg führte, brauchte er in Rom jemanden, der
verläßlich seine Interessen vertrat, und Politik in seinem Sinne
machte. Für diese Aufgabe stand Lucius Appuleius Saturninus bereit.
Lucius Appuleius Saturninus war im Jahr 104 v. Chr. als Quaestor in Ostia für die Getreideversorgung Roms zuständig. Er entstammte dem niederen Adel und strebte mit ausgeprägtem Ehrgeiz und Machthunger nach einer politischen Karriere. Doch gleich zu Beginn gab es Probleme. Unruhen und Sklavenaufstände führten zu Stockungen im überseeischen Getreidehandel. Der römische Senat machte Saturninus deswegen zum Sündenbock und entzog ihm seinen Posten in Ostia. Das, so sollte Cicero später schreiben, gab seinen politischen Auffassungen eine völlig neue Richtung. "Wir wissen, daß Saturninus sich aus Empörung einen Freund des Volkes nannte, denn zu einer Zeit großer Teuerung der Nahrungsmittelvorräte entfernte ihn der Senat während seiner Amtszeit als Quaestor von der Verwaltung des Getreidemarkts, was zu seinen Amtsgeschäften gehörte."
Saturninus konnte die Brüskierung nicht verwinden. Von nun an kümmerte
er sich nicht mehr um die Sache des Senats. Er wurde zum Inbegriff des popularen
Politikers. :
In der römischen Innenpolitik standen sich zu dieser Zeit zwei Lager feindselig
gegenüber: der traditionsreiche Senat, in dem Aristokraten seit Jahrhunderten
die Politik bestimmt hatten, und das Volk, vertreten in den Volksversammlungen
und durch die gewählten Volkstribunen. Erst dreißig Jahre zuvor hatten
die Gracchen über Volksversammlung und Volkstribunat versucht, die wirtschaftliche
Lage der einfachen Menschen zu verbessern. Diese ersten popularen Politiker
waren am erbitterten Widerstand der Senatsaristokratie gescheitert und zu Tode
gekommen. "Die Besten", Optimaten, nannten sich die siegreichen Senatoren
und bereicherten sich auch weiterhin unbekümmert am Gemeinwesen und den
eroberten Provinzen. Die Armut des einfachen Volkes blieb ihnen gleichgültig.
Die Sache des Volkes wurde nun zur Sache des Lucius Appuleius Saturninus.
Lucius Appuleius Saturninus kandidierte für das Volkstribunat des Jahres
103 v. Chr. Er wurde gewählt und besaß nun ausreichend Handlungsfreiheit,
denn er war immun gegen gerichtliche Verfolgung.
"Der Volkstribun ist eine heilige und unverletzliche Magistratsperson, weil er dem Volke geweiht und verpflichtet ist, es zu beschützen."
Saturninus war jetzt ein mächtiger Mann in einem Kollegium von zehn Tribunen.
Mit der Volksmenge hinter sich konnte er der Aristokratie gehörig einheizen.
Trotzdem würdigten auch Optimaten das Volkstribunat als wichtiges Gegengewicht
zum Senat. Cicero sprach das in einer Rede aus:
"Der Vorwurf lautet, die Macht der Volkstribunen sei zu groß.
Wer will das bestreiten? Aber eine heftig tobende und leidenschaftlich aufgepeitschte
Volksmenge zeigt oft mehr Zurückhaltung, wenn sie einen Führer hat,
als wenn sie keinen hätte. Denn der Anführer bedenkt, daß er
sich auf eigenes Risiko vorwagt. Das Volk aber achtet in seinem wilden Ungestüm
nicht auf die eigene Gefahr.
Man wendet ein: manchmal hetzt er das Volk sogar auf. Allerdings, aber oft bringt
er es auch zur Ruhe! Welches Kollegium ist nämlich so hoffnungslos von
allen guten Geistern verlassen, daß in ihm von zehn Leuten kein einziger
einen gesunden Verstand hat?"
Als Volkstribun lehrte Saturninus die Senatoren das Fürchten. Als erstes zerrte er die Schuldigen der Katastrophe von Arausio vor Gericht.
In Arausio, dem heutigen Orange in Südfrankreich, waren 80.000 römische
Soldaten von Germanen abgeschlachtet worden, weil der aristokratische Feldherr
es aus reinem Standesdünkel abgelehnt hatte, sich mit einem sozial unter
ihm stehenden Kollegen abzusprechen. Nach der Schlacht hatte der Mann sich überdies
mit dem gesamten Beutegold aus früheren Feldzügen aus dem Staub gemacht.
Die Verurteilung des Schuldigen wurde von den Senatoren genau als das verstanden,
was es war: ein Schlag gegen aristokratische Willkür.
Doch Saturninus ging noch weiter: er ließ einen ständigen Gerichtshof
einrichten, der Verstöße von Amtspersonen gegen Gesetze und Senatsbeschlüsse
verfolgen sollte. Angehörige des Ritterstandes, nicht der Senatsaristokratie,
fungierten als Richter. Trotz schärfster Opposition des Senats ging die
entsprechende Gesetzesvorlage durch: wieder hatten die Optimaten an Boden verloren.
Lucius Appuleius Saturninus stand nicht allein mit seiner popularen Politik.
Sein wichtigster Verbündeten war Gaius Servilius Glaucia, ein etwas heruntergekommener
Aristokrat.
"Glaucia erhob sich aus den schäbigsten Tiefen von Vermögen
und Leben ..." ... sagte Cicero einmal, der für anti-senatorische
Einstellungen keinerlei Verständnis hatte. Glaucia unterstützte Saturninus
mit, wie Cicero anmerkte, possenhafter, volkstümlicher Beredsamkeit, auch
bei einem anderen Gesetzesvorstoß.
Eines der drängenden sozialen Probleme stellte sich mit der Versorgung
von Veteranen der Armee. Seit Gaius Marius es auch den Besitzlosen ermöglicht
hatte, in der Truppe zu dienen, mußte man sie beim Ausscheiden aus den
Legionen irgendwie versorgen.
In der Volksversammlung ließ Saturninus den Veteranen des Marius, die
zur Versorgung anstanden, in Africa Güter zuweisen. Durch die rüden
Methoden, die er dabei anwenden ließ, schürte er Haß bei seinen
Gegnern.
"Lucius Appuleius Saturninus, ein unruhestiftender Volkstribun, wollte
sich bei den Soldaten des Marius beliebt machen. Er machte den Vorschlag, daß
den ausgedienten Soldaten je 100 Morgen Ackerland in Afrika zugewiesen würden.
Einen Kollegen, der sich dagegen wandte, schaffte er aus dem Wege, indem das
Volk ihn steinigte."
Immer wieder kam es zu sozialen Unruhen in Rom. Tumulte und Gewalt waren die
Antwort auf die himmelschreiende Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Servilius Glaucia hatten in den sozialen
Auseinanderseitzungen eindeutig Partei ergriffen. Wo aber stand Gaius Marius?
Der Geschichtsschreiber Plutarch berichtete in seiner Biographie des Feldherrn:
"Er suchte mit Schmeicheleien das Volk zu gewinnen und buhlte durch
willfähriges Nachgeben um die Gunst der Menge. Damit schadete er nicht
nur der Würde und dem Ansehen seines Amtes, sondern tat auch seiner eigenen
Natur Gewalt an. Er wollte gern ein geschmeidiger Volksmann sein, obwohl er
dazu am allerwenigsten gechaffen war. Wenn er eine politische Frage entscheiden
oder vor der lärmenden Masse auftreten mußte, lähmte der Ehrgeiz
seinen Mut, und seine unerschütterliche Ruhe im Kampf verließ ihn
völlig vor dem versammelten Volk, wo er bei jedem Lob oder Tadel die Fassung
verlor. ... Es scheint festzustehen, daß ihm das Geschrei in den Volksversammlungen
entsetzliche Angst einjagte."
Mit der Aristokratie verband Marius eine Haßliebe. Einerseits ärgerte
es ihn, trotz seiner Erfolge herablassend behandelt zu werden, andererseits
wollte er gern dazugehören. Er konnte nicht konsequent antisenatorisch
handeln, wie es Saturninus tat. Deshalb war der Tribun war für ihn so wichtig:
er war sein Mann für's Grobe.
Und Saturninus revanchierte sich für die Gunst. Kein anderer als er war
es, der Marius zum vierten Consulat verhalf.
"Viele tüchtige Männer bewarben sich um das hohe Amt, doch
der Volkstribun Lucius Saturninus - er hatte großen Einfluß auf
die Menge und war von Marius gewonnen - rief in der Volksversammlung die Bürger
auf, Marius zum Consul zu wählen. Da dieser spröde tat, und sagte,
er suche das Amt nicht und lehne es ab, nannte ihn Saturninus einen Vaterlandsverräter,
wenn er sich in solcher Gefahr dem Oberbefehl entziehe. Es war mit Händen
zu greifen, daß er mit Marius ein abgekartetes Spiel aufführte, und
zwar recht ungeschickt. Aber die Menge erkannte das Gebot der Stunde: Man brauchte
Marius' Fähigkeiten und sein Glück. So erhielt er zum vierten Mal
das Consulat."
Als Gaius Marius nach seinem Sieg über die Cimbern und Teutonen nach Rom zurückkehrte, stand er im Zenit seiner Macht. "Vater des Vaterlandes", "Dritter Gründer Roms" jubelten ihm die Volksmassen zu. Bald aber zeigte es sich, daß er als Politiker nicht so begabt war wie als Feldherr.
Das Jahr 100 v. Chr. stand vor der Tür. Marius hatte das fünfte Consulat hinter sich, und schickte strebte es zum sechsten Mal an. Saturninus bewarb sich zum zweiten Mal um das Tribunat. Um sich Rückhalt bei der römischen Bevölkerung zu verschaffen, ersann er ein recht geschmackloses Manöver: er präsentierte der verblüfften Öffentlichkeit einen Mann namens Lucius Equitius als angeblichen Sohn des verblichenen Tiberius Gracchus. Die Gracchenfamilie war entsetzt, die Senatoren empört. Niemand hatte je von diesem Mann gehört, der sich da mit Saturninus um das Tribunat bewarb. Die Geschichte wurde als das durchschaut, was sie war: ein Trick des Saturninus, um mit dem Namen Gracchus beim Volk Eindruck zu machen. Dem damaligen Censor gelang es zwar nicht, Equitius die Aufnahme in die Bürgerliste zu verweigern, aber Marius stellte sich in dieser Sache gegen Saturninus. Er schloß Equitius von der Kandidatur zum Tribunat aus und ließ ihn stattdessen ins Gefängnis werfen, aus dem ihn das Volk alsbald gewaltsam wieder befreite. Marius wird mit nicht geringem Schrecken zur Kenntnis genommen haben, daß Volkesmacht sich auch gegen ihn selbst richten konnte. Außerdem hätte die Art und Weise, wie Saturninus die Wahl vorbereitete, ihn nachdenklich stimmen müssen.
Saturninus setzte seine Wahl mit nacktem Terror durch. Zusammen mit Glaucia,
der für das kommende Jahr zum Praetor gewählt werden sollte, stellte
er eine Bande von Schlägern und Messerstechern auf. Diese Leute sollten
prompt zum Einsatz kommen. Es ging um einen Mitbewerber für das Tribunat,
einen gewissen Nonius.
"Indessen wurde Nonius, ein Mann vornehmer Herkunft, der Appuleius gegenüber
ein freies Wort führte und Glaucia heftige Vorwürfe machte, zum Tribunen
gewählt. Da fürchteten beide, Nonius möchte sich als Tribun an
ihnen rächen, griffen, während er gerade aus der Wahlversammlung wegging,
mit einem Haufen von Raufbolden unter Getümmel an und stachen ihn nieder,
nachdem er noch in einer Gaststätte Zuflucht hatte finden können.
Da die Mordtat einen jammervollen und erschütternden Eindruck machte, versammelten
sich die Anhänger des Glaucia schon früh am nächsten Morgen,
als das Volk sich noch nicht eingefunden hatte, und wählten Appuleius zum
Tribunen. So wurde der Mordfall Nonius vertuscht, da Appuleius jetzt Tribun
war und alle sich scheuten, ihn noch weiter zur Rechenschaft zu ziehen."
Auch Gaius Marius verlor viel von der Liebe und Achtung der Römer. "Doch zog er sich ... Haß und Abscheu zu, da er bei vielen Verbrechen des Saturninus die Hand im Spiel hatte, so auch bei der Ermordung des Nonius, den Saturninus als unbequemen Mitbewerber um das Tribunat hatte beseitigen lassen."
Warum ließ Gaius Marius Saturninus und Glaucia nicht fallen? Er hatte einen guten Grund für dieses Bündnis. Niemand sonst kümmerte sich um das Hauptanliegen des Marius: die Versorgung seiner Veteranen. Den Senatoren war dieses Thema vollkommen gleichgültig. Vielen von ihnen war die von Marius durch eine Heeresform geschaffene Volksarmee ohnehin unheimlich. Probleme mit den Veteranen? Gerade recht! Sollte dieser Emporkömmling doch sehen, wo er blieb! Gleich zu Beginn des Jahres 100 v. Chr. brachte Appuleius Saturninus wohl im Auftrag des Marius ein wichtiges Gesetz auf den Weg. Saturninus stellte die Behauptung auf, jedem der entlassenen Soldaten stünde ein Bauernhof zu.
"Appuleius beantragte ein Gesetz, um das Land aufzuteilen, das die Kimbern sich angeeignet hatten. Marius hatte nämlich diesen keltischen Stamm gerade vertrieben. ... Appuleius bestimmte den Tag für die Volksversammlung und schickte Boten, um die Leute in den ländlichen Bezirken zu benachrichtigen. Zu ihnen hatte er das meiste Vertrauen, weil sie unter Marius im Heer gedient hatten. Die Stadtbewohner waren nämlich nicht mit dem Gesetz einverstanden; denn es gab den italischen Bundesgenossen einen großen Anteil."
Saturninus wußte auch hier die Lösung: die städtischen Plebejer wurden mit der Zusage, man werde die Getreideversorgung verbilligen, geködert. Politische Einwände ließ Saturninus mit Gewalt unterdrücken. Als verschiedene Tribunen mit dem Senat kungelten und ihr Veto gegen die Gesetzesvorlage einlegen wollten, zerrte man sie mit Brachialgewalt von der Tribüne. Schlägertrupps hielten sie in Schach.
"In der Volksversammlung brachen Unruhen aus. Diejenigen, die den Beschluß verhindern wollten, ... wurden von Appuleius angegriffen und von der Rednertribüne vertrieben. Die Masse der Stadtbewohner lärmte, in der Versammlung sei ein Donnern gehört worden. In diesem Falle erlaubt die römische Sitte nicht, die Angelegenheit am selben Tage abzuschließen. Als die Anhänger des Appuleius trotzdem darauf bestanden, gürteten die Stadtleute sich, ergriffen, was immer sie fanden, an Knüppeln und zerstreuten die Landbewohner. Appuleius sammelten diese aber wieder. Sie griffen die Stadtleute mit Schlagwaffen an, überwältigten sie und beschlossen das Gesetz."
Die Senatoren sollten nicht in der Lage sein, das Gesetz irgendwie umgehen.
Deshalb hatte Saturninus vorgesorgt und einen Zusatz hineingeschrieben, bei
dem sie Mühe hatten, ihn zu akzeptieren.
"In dem Antrag war auch vorgesehen, daß die Senatoren, sofern
das Volk das Gesetz bestätigen sollte, sich binnen fünf Tagen eidlich
zu verpflichten hätten, ihm Folge zu leisten. Wer dies verweigere, sei
aus dem Senat zu entfernen und müsse als Buße eine Summe von zwanzig
Talenten zugunsten des Volkes entrichten."
Ein Sturm der Empörung brach los. Erbittert bekämpften die Senatoren
diesen Gesetzesvorstoß. Saturninus wurden Zügellosigkeit und Wahnsinn
attestiert. Den Glaucia beschimpfte man sogar als "Mist des Rathauses".
Für Gaius Marius begann mit diesem Gesetz die politische Demontage seiner Person. Er lavierte zwischen dem Senat und Saturninus hin und her. Was den Inhalt des Gesetzes betraf, konnte er gar nicht anders handeln, als ihm zustimmen. Seine Soldaten hätten ihm eine Ablehnung sicher übel genommen. Die Art und Weise aber, mit der die Vorlage durchgepeitscht worden war, mußte er ablehnen. Tat er es nicht, würde man ihn als Vollstreckungsorgan seiner Helfer ansehen. Wie auch immer er entschied, er saß zwischen den Stühlen. Letztendlich kostete ihn sein ungeschicktes Taktieren die politische Glaubwürdigkeit. Sein politischer Selbstmord begann genau dann, als Saturninus forderte, jeder Senator habe den Eid auf das Gesetz abzulegen.
"Im Senat ereiferte sich Marius auf das heftigste gegen diesen Zusatz, allerdings nur zum Schein, und erklärte, er werde sich zu diesem Eid nicht hergeben und, wie er glaube, auch sonst kein vernünftiger Mann. Auch wenn gegen das Gesetz nichts einzuwenden wäre, sei es doch eine freche Anmaßung, vom Senat zu verlangen, daß er seine Genehmigung unter Zwang, statt freiwillig und überlegt, erteile."
Einer von Marius entschlossensten Gegnern war der Senator Quintus Caecilius Metellus Numidicus, sein alter Rivale im Oberkommando früherer Feldzüge. Den Tribunen Saturninus haßte Metellus geradezu. Vor zwei Jahren hatte er als Censor versucht, Saturninus wegen unsittlichem Lebenswandel aus dem Senat zu werfen. Dieser Plan war damals am Einspruch eines Kollegen gescheitert, hatte aber die innenpolitische Lage auf lange Zeit vergiftet. Dieser Metellus weigerte sich, den ominösen Eid zu leisten. Die ganze Schwurgeschichte, so behauptet der Biograph Plutarch, sei ohnehin nur inszeniert worden, um Metellus zu demütigen.
"Marius' Protest aber war nicht ehrlich gemeint, sondern sollte Metellus in eine Schlinge locken, die ihn unweigerlich zu Fall bringen würde. Lügen waren für ihn ein Zeichen von Tüchtigkeit und Gewandtheit, und er gedachte sein Versprechen vor dem Senat keineswegs als bindende Verpflichtung anzusehen. Metellus aber war ihm als fester Charakter bekannt ... Darum wollte ihn Marius dazu bringen, daß er vor versammeltem Senat gegen die Eidesleistung spreche und sich so zum Voraus die Hände binde. Wenn er dann den Eid tatsächlich verweigerte, konnte er ihn dem unversöhnlichen Haß des Volkes preisgeben. Der Plan gelang: Metellus erklärte, er werde nicht schwören, dann wurde die Sitzung aufgehoben."
Die Lage spitzte sich zu. Was würde der Consul tun? Gespannt verfolgten die Römer den erbitterten Machtkampf.
"Wenige Tage später rief Saturninus die Senatoren zur Rednertribüne
auf das Forum und wollte sie zu dem Schwur nötigen. Marius erhob sich,
um zu sprechen, in gespannter Erwartung verstummte die Menge. Scharf distanzierte
er sich von seinen prahlerischen Äußerungen im Senat und erklärte,
sein Nacken sei nicht breit genug, als daß er sich in einer so wichtigen
Frage ein für allemal festlegen könne. ... Unter jubelndem Beifall
des Volkes tat er den Schwur."
Marius hatte sein Mäntelchen nach dem Wind gehängt. Kein Wunder, daß sich die Senatoren betrogen vorkamen.
"Die Senatoren aber waren zutiefst niedergeschlagen und voll Erbitterung über Marius' Wankelmut. Aber sie schworen doch, einer nach dem andern, denn sie hatten Angst vor dem Volk ... bis auf Metellus."
Es war Marius und Saturninus von Anfang an klar gewesen, daß Metellus den Eid nie leisten würde. Man kann daher getrost annehmen, daß sie von Anfang an beabsichtigt hatten, diesen Mann ins Exil zu treiben und sich so eines einflußreichen politischen Gegners zu entledigen. Die Rechnung ging auf.
"Obschon die Freunde ihn flehentlich baten, den Eid zu leisten und sich nicht den harten Strafen auszusetzen, welche Saturninus gegen Eidverweigerer beantragt hatte, ließ er nicht von seinem edlen Stolz und tat den Schwur nicht."
Saturninus brachte daraufhin die radikale Lösung auf den Weg.
"Darauf setzte Saturninus den Volksbeschluß durch, die Consuln
hätten öffentlich bekanntzugeben, daß Metellus Feuer, Wasser
und Obdach untersagt sei. Die gemeinsten Elemente des Pöbels zeigten sich
sogar bereit, den Mann ums Leben zu bringen."
Quintus Metellus Numidicus behielt die Nerven und verließ die Stadt. Er meinte: "Wenn sich die Verhältnisse zum Bessern wenden, wenn das Volk bereut und mich zurückruft, werde ich wiederkommen. Wenn aber alles beim alten bleibt, ist es besser, ich halte mich fern."
Die Einigkeit unter den Popularen wurde immer brüchiger. Die Ereignisse um den Schwur hatten Saturninus und Glaucia gezeigt, daß man sich auf Gaius Marius nur noch bedingt verlassen konnte. Nicht Marius, Saturninus war der Mann der Stunde.
"Saturninus erntete nun den Lohn für seine Dienste. Seine Frechheit und Gewalttätigkeit kannten keine Schranken mehr, denn Marius drückte beide Augen zu - er konnte ja nicht anders - und merkte gar nicht, daß er zu unabsehbarem Unheil die Hände bot, und der Weg über Waffengewalt und Mord geradezu zu Umsturz und Tyrannis führte."
Eine Gruppe Senatoren machte sich auf den Weg, um den Consul Marius dazu zu
bewegen, den Umtrieben des Demagogen endlich Einhalt zu gebieten. Das Verhalten
des Consuls war erbärmlich.
"Als eines Nachts die ersten Männer Roms in das Haus des Marius
kamen, um Maßnahmen gegen Saturninus' Umtriebe zu fordern, ließ
er ohne ihr Wissen zu einer Hintertür auch jenen ein. Nun spiegelte er
beiden Parteien vor, er sei von Durchfall geplagt, lief abwechselnd von den
Patriziern zu Saturninus, von Saturninus zu den Patriziern und hetzte sie gegeneinander
auf."
Saturninus und Glaucia schätzten den Handlungsspielraum des Gaius Marius
wohl ganz richtig ein. Sie waren entschlossen, ihren Weg notfalls auch ohne
ihn zu gehen. Um sich vor gerichtlicher Verfolgung seitens der Senatoren zu
schützen, strebten beide auch für das folgende Jahr, das Jahr 99 v.
Chr., ein öffentliches Amt an.
Saturninus drückte für sich das dritte Tribunatsjahr durch. Auch Lucius
Equitius, der Pseudo-Gracchus, sollte Volkstribun werden. Gaius Servilius Glaucia
kandidierte für das Consulat, obwohl er gerade erst Praetor gewesen war.
Er verstieß damit gegen die Tradition, nach der zwischen Praetur und Consulat
mindestens drei Jahre liegen mußten.
"Appuleius bekleidete daraufhin zum drittenmal das Tribunat. Zum Amtsgenossen hatte er einen Mann, der als flüchtiger Sklave galt, doch sich für einen Sohn des älteren Gracchus ausgab. Sehnsucht nach Gracchus hatte ihm beim Volk schon Wahlhilfe verschafft."
Schließlich standen die Consulswahlen bevor. Für Gaius Servilius Glaucia war ein gewisse Gaius Memmius ein gefährlicher Konkurrent, aussichtsreicher als er selbst. Am Wahltag kam es zur Katastrophe. Der griechische Geschichtsschreiber Appian beschrieb die blutige Szene.
"Da Memmius der weitaus angesehenere Mann war, gerieten Glaucia und Appuleius über den Wahlausgang in Angst und ließen gerade während des Wahlgangs Memmius durch knüppelbewehrte Raufbolde angreifen. Mitten in der Versammlung schlugen sie auf den Mann ein und prügelten ihn vor aller Augen zu Tode. In hellem Schrecken lösten sich die Wahlversammlungen auf, da man weder vor Gesetzen noch vor Gerichten oder sonst einer Einrichtung mehr Scheu empfand."
Lähmendes Entsetzen durcheilte Rom. Senat und Ritterschaft machten nun
einheitlich Front gegen Saturninus und seine Leute. Auch Gaius Marius nahm kurze
Zeit offen für die Optimaten Partei.
"Bei so großem Unheil für den Staat wurden der Senat und
das römische Volk unwillig. Der Consul Marius paßte daher vorübergehend
seine Einstellung der Übereinkunft der gut Gesonnenen an und beruhigte
das bewegte Volk durch eine milde Rede."
Leider handelte es sich nur um eine sehr vorübergehende Ruhe.
"Das Volk aber rottete sich voll Zorn am nächsten Tage zusammen und wollte Appuleius umbringen. Doch der hatte einen anderen Haufen vom Lande um sich versammelt und besetzte zusammen mit Glaucia und dem Quaestor Gaius Saufeius das Kapitol."
Ungeheuerliches geschah da: gewählte Magistrate verbarrikadierten sich
mitten in der Stadt, im Herzen Roms, gegen Volk und Senat. Das konnte nicht
geduldet werden.
"Daraufhin beschloß der Senat ein gewaltsames Einschreiten gegen
sie, was jedoch das Mißfallen des Marius erregte. Gleichwohl hieß
er, wenn auch widerwillig, einige seiner Streitkräfte sich rüsten,
doch während er noch zögerte, unterbrachen andere die Wasserzuleitung
zum kapitolinischen Tempel. Beinahe verdurstend schlug Saufeius vor, man solle
das Heiligtum in Brand stecken. Glaucia und Appuleius hingegen rechneten mit
der Hilfe des Marius."
Doch mit Marius war nicht mehr zu rechnen. Der Consul war einfach nicht imstande,
eindeutig Partei zu ergreifen. Indem er es sich mit keiner Seite verderben wollte,
verriet er alle.
"Ein ganz wilder Kampf wurde dann am Zugang zum Kapitol ausgetragen,
wobei viele in der Umgebung des Saufeius und des Saturninus niedergehauen wurden.
Saturninus beteuerte in aller Öffentlichkeit laut schreiend, daß
Marius der Ansifter aller seiner Machenschaften sei."
Der Appell half Saturninus nicht. Er mußte sich schließlich samt seiner Freunde ergeben.
"Da alle für ihre augenblickliche Hinrichtung eintraten, ließ Marius sie in der Kurie gefangen setzen, so als wolle er gegen sie in einer mehr gesetzlichen Form verfahren."
Aber niemand traute Marius mehr. Warum sperrte er Saturninus, Glaucia und die
anderen ins Senatsgebäude? Wollte er sie davonkommen lassen?
"Die Menge sah darin einen Vorwand, riß die Dachziegel des Gebäudes
weg und warf sie auf Appuleius und seine Anhänger, bis sie tot waren."
Saturninus und seine Gefährten endeten durch roheste Lynchjustiz. Sie wurden zu Tode gesteinigt. Und noch einer starb an diesem Tag: "Bei diesem Aufruhr fanden auch sonst noch viele Menschen den Tod; zu ihnen zählte der andere Volkstribun, der als der Sohn des Gracchus galt und damals gerade den ersten Tag seines Amtes waltete."
Da die antiken Geschichtsschreiber durchweg senatorisch gesonnen waren, ist
Saturninus und seinen Leuten nie Gerechtigkeit widerfahren. Urteile wie das
von Cicero bezeichnen ihn als kaltschneuzigen, auf persönlichen Vorteil
bedachten Menschen. Saturninus sei ...
"... ein wachsamer Mann, und einer, der sich in einer öffentlichen
Angelegenheit nicht mit gebotenem Maß betrug, sondern auf jeden Fall immer
die allgemeinen Vorurteile des Volkes im Blick hatte. Er war einer, der obendrein
von sehr gleichgültigem Geist beseelt war. Er räumte ein, daß
er, wenn er von mutigen Männern besiegt würde, er wohl mit Schande
bedeckt fallen würde, oder daß er, falls er selbst der Sieger sei,
die Republik einiger tapferer Bürger berauben würde."
Doch die Brutalität mit der Saturninus vorging, darf nicht den Blick dafür
verstellen, daß seine politische Konzeption Hand und Fuß hatte.
Die Ansiedlung von Veteranen und die damit verbundene Neuordnung italischen
Grund und Bodens, Einrichtung von Staatsland in den Provinzen und dafür
notwendige Bereitstellung von Geldmitteln, all das sind vernünftige Initiativen,
die auf ihn zurückgehen. Doch der Stil seiner Politik war so, daß
der Senat nichts weniger als die Republik selbst in Gefahr sah. Kurz, knapp
und unverkennbar zufrieden stellte Cicero später in einer Rede fest:
"Im Jahr 654 seit der Gründung der Stadt wurde der Volkstribun
Lucius Saturninus erschlagen, gemäß eines Senatsbeschlusses, der
die Sicherheit der Republik den Consuln Caius Marius und Lucius Valerius Flaccus
anheim stellte."