Das Chaos der Völkerwanderung und der drohende Zusammenbruch des Weströmischen
Reichs sind der Hintergrund für das Leben der Galla Placidia. Geboren im
Jahr 388 n. Chr. als Tochter Theodosius des Großen erlebte sie als Kind
die Teilung des römischen Reichs, Krieg, Tod des Vaters und jede Spielart
von Intrigen und Verrat. Erzogen wurde sie im Hause Stilichos, des germanischen
Heeresmeisters, der jahrelang das weströmische Reich beherrschte. Nach
dem schrecklichen Ende Stilichos wurde Galla Placidia von den Westgoten entführt,
als diese Rom eroberten. Durch ihre Heirat mit Athaulf wurde sie gotische Königin.
Nach dem Tod Athaulfs verlangte Galla Placidias Bruder, der weströmische
Kaiser Honorius, seine Schwester zurück, um sie mit seinem Nachfolger Constantius
zu verheiraten. Auf die glückliche Zeit als Gotenkönigin folgte die
Ära der römischen Kaiserin Galla Placidia. Nachdem sie Bruder und
Mann überlebt hatte, kämpfte sie mit unglaublicher Entschlossenheit
für den Erhalt des weströmischen Reichs und die Interessen ihres Sohnes
Valentinian. Machthungrigen Generälen und Verschwörern trat sie ebenso
entschieden entgegen wie ihren intriganten Verwandten in Konstantinopel. Neben
Kriegen gegen abtrünnige Heerführer, Germanen oder die gräßlichen
Hunnen fand sie sogar Zeit, sich um Kirchenpolitik zu kümmern und die Hauptstadt
Ravenna mit herrlichen Bauten schmücken zu lassen.
Galla Placidias Leben ist das Finale in der Geschichte des weströmischen
Reichs. Kurz nach ihrem Tod hörte es entgültig auf zu existieren.
Kindheit Stilicho Alarich Athaulf Flavius Constantius Regentin für Valentinian III. Attila, die Geißel Gottes Skandal um Honoria |
Konstantinopel, im Jahr 388 n. Chr. Die Herolde melden frohe Kunde aus dem Palast: Kaiser Theodosius ist erfreut über die Geburt einer gesunden Tochter. Jubel braust durch die prachtvollen Straßen der mächtigen Hauptstadt am Bosporus, die Kaiser Konstantin wenige Jahrzehnte zuvor hatte einweihen lassen.
Aelia Galla Placidia - auf diesen Namen wurde das neugeborene Mädchen
getauft. Das Kind sollte ein Zeichen der Hoffnung sein, ein Lichtblick in einer
furchtbaren Zeit.
Im römischen Reich tobten Kriege an allen Fronten: im Osten gegen die Perser,
Bürgerkriege im Innern des Imperiums und vor allem die verzweifelten Schlachten
gegen die Germanen an den Nordgrenzen. Wie eine Springflut ergossen sich germanische
Stämme in römische Provinzen. Seit 375 n. Chr. stießen aus Asien
Hunnenhorden nach Europa vor. Überall erregten die Germanen Angst und Schrecken.
"Könnte irgendein anderer Name als der des Barbaren, der ihre Wildheit, Grausamkeit und ihre Schrecken bezeichnet, besser zu ihnen passen? Man kann sie mit Freundlichkeit überschütten oder ihnen mit unermüdlichem Fleiß zu Diensten sein; ihr Denken wird trotzdem nur durch den Neid bestimmt bleiben, den sie gegenüber den Römern empfinden. Sie wollen die Römer nicht überleben lassen."
Seit langem siedelten Germanen im Reich und auch die Legionen waren bis hinauf
in die höchsten Offiziersränge mit Germanen durchsetzt. Kein Wunder,
daß mächtige germanische Offiziere schließlich versuchten,
auch die Politik zu steuern. Mit ihnen rang Galla Placidias Vater Theodosius
verbissen um die Macht.
Für die kleine Kaisertochter bedeutete das, daß sie ihren Vater praktisch
nie zu Gesicht bekam. Überhaupt war Geborgenheit etwas, das Galla Placidia
nie kennengelernt hat. Die Familienatmosphäre war schwer belastet durch
das schlechte Verhältnis zwischen ihrer Mutter und Arcadius, dem ältesten
Sohn des Kaisers aus dessen erster Ehe. Außerdem lieferten sich ehrgeizige,
neidische und rachsüchtige Günstlinge und Eunuchen fortwährend
erbitterte Machtkämpfe. Intrigen, Gift und Dolche waren beliebte Waffen
im täglichen Überlebenskampf.
Im Jahr 394 n. Chr. starb die Mutter Galla Placidias bei der Geburt eines
weiteren Kindes. Theodosius, der damals in Mailand weilte, befahl Galla Placidia
und seinen jüngeren Sohn Honorius zu sich. Sohn und Tochter folgten der
Aufforderung gehorsam.
Begleitet wurde die kleine Prinzessin von ihrer Amme. Die war damals ihr einziger
stabiler Schutz, sie und der liebe Gott. Solange sie zurückdenken konnte,
hatte Galla Placidia Trost in der christlichen Religion gefunden. Das Christentum
war Staatsreligion geworden und mit der sicheren Machtposition ging auch die
Unduldsamkeit einher. Andersgläubige wurden immer weniger geachtet. Gerade
unter Galla Placidias Vater Theodosius, einem strengen, bigotten Mann, quälte
sich das Imperium mit religiöser Intoleranz.
"Unser Zeitalter hat es riskiert, sich von Eseln herumkommandieren zu lassen!" ... meinte ein nichtchristlicher Schriftsteller abfällig. Mit den Eseln war Galla Placidias Verwandtschaft gemeint. Die kaiserliche Familie stand völlig unter der Fuchtel der Bischöfe.
Am 17. Januar 395 starb Theodosius der Große unerwartet in Mailand. Bei
der Totenfeier liefen dem 11-jährigen Honorius und der 7-jährigen
Galla Placidia die Tränen übers Gesicht. Und Bischof Ambrosius von
Mailand betete während der Totenmesse für ihren Vater: "Oh
Herr, der du wachst über den Geringsten deiner bescheidenen Diener, rette
die, die auf dich hoffen. Gib vollkommenen Frieden deinem Diener Theodosius,
den Frieden, den du für deine Heiligen vorgesehen hast..."
Die
Söhne des toten Kaisers, der junge Honorius und der geistig unbedarfte
18-jährige Arcadius traten das Erbe des Imperiums an: Arcadius sollte die
Osthälfte des Reichs regieren, Honorius die Westhälfte. Als Vormund
für Honorius fungierte ein Mann namens Stilicho, der das Amt des obersten
Heeresmeisters bekleidete. Stilicho war zur Hälfte ein Vandale und eindeutig
der mächtigste Mann im Reich. Für Galla Placidia wurde Stilicho die
bestimmende Figur in ihrer Jugend. Man gab sie in die Obhut von Stilichos Frau
Serena, wo sie zusammen mit deren Töchtern erzogen wurde. Wie Galla Placidia
zu Stilicho stand, ist nicht überliefert. Serena mochte sie jedenfalls
überhaupt nicht.
Stilichos Ziel war die Macht über das ganze Reich, - mit Honorius als kaiserlicher
Marionette. Der junge Arcadius in Konstantinopel war ebenfalls schwach und wurde
von machtgierigen Finsterlingen völlig beherrscht. Diese Hofkamarilla wollte
Stilicho ebenfalls mit allen Mitteln bekämpfen. Er war fest davon überzeugt,
im Grunde der einzige zu sein, der fähig war, das auseinanderbrechende
römische Reich zu retten. Und die Schmeichler und Speichellecker bei Hof
waren von früh bis spät damit beschäftigt, ihn darin immer wieder
zu bestärken.
"Wessen Rat ist weiser als der Stilichos? Wer kennt Gesetze und Bräuche
besser als er? Stilicho, du verbindest Kraft mit Weisheit, Stärke mit Vernunft!
Du bist das herrlichste Beispiel von Majestät. Obwohl Würde mit dem
Alter kommt, und Stärke das Kennzeichen der Jugend ist, besitzt du das
Beste von beidem. Du bist der Beweis für Fortunas Lächeln."
(Claudianus)
Unterdessen wuchs Galla Placidia heran. Streng christliche Grundsätze
bestimmten ihre Erziehung. Die Leitlinien ihrer Jugend waren Frömmigkeit,
weibliche Bescheidenheit und Fleiß. Daneben wurde ihr allerdings auch
das klassische römische Bildungsgut nahegebracht.
Glücklich war sie in diesen Jahren vermutlich nicht. Streng bewacht, immer
hinter ihrem Bruder Honorius zurückgesetzt, befand sie sich ständig
im Schatten des mächtigen Stilicho. So lebte Galla Placidia gleichsam im
Auge des Taifuns, denn Stilicho war gefährlich ...
Die Feindschaft Stilichos mit Konstantinopel aber hatte schließlich tragische Folgen. Die Zentralfigur der Intrigen am östlichen Hof war jahrelang der Westgotenkönig Alarich gewesen. Als Alarich wegen nicht erfüllter Zusagen gegen das oströmische Reich marschierte und plündernd und brandschatzend durch Griechenland zog, behinderte ihn Stilicho dabei nicht, obwohl er von Arcadius zu Hilfe gerufen worden war. Am Hof von Konstantinopel schäumte man vor Wut und beauftragte nun aus Rache Alarich, das weströmische Reich anzugreifen.
Im Jahr 402 n. Chr. standen die Westgoten vor Mailand und Kaiser Honorius verlegte außer sich vor Entsetzen die Residenz in das sumpfige Gebiet von Ravenna, das leichter zu verteidigen war. Es gelang nicht, Alarich endgültig zu besiegen und Stilicho versuchte immer wieder, ihn auf seine Seite zu ziehen. Damit schuf er sich erbitterte Feinde.
"Es ist grausam, das Verbrechen des unheimlichen Stilicho, des Verräters, der das Geheimnis des Reiches ausgeliefert hat. Obwohl er das Überleben der römischen Rasse angestrebt hat, hat sein mörderischer Wahnsinn alles umgeworfen. Obwohl er alles gefürchtet hat, was er getan hat, um selbst gefürchtet zu werden, hat er die Todesarmeen der Barbaren ins Land gelassen, um Latium auszuradieren."
Auch Galla Placidia war entsetzt über den Lauf der Ereignisse. Ihr Leben
in Rom erfuhr immer größere Einschränkungen: die vorwiegend
altgläubige römische Oberschicht schnitt die extrem christliche Familie.
Und Macht hin oder her, die Nähe zum Vandalen Stilicho ließ selbst
die Mitglieder der kaiserlichen Familie in den Augen snobistischer Römer
anrüchig erscheinen.
Galla Placidia war ungefähr 20 Jahre alt, als die Katastrophe hereinbrach.
Stilicho beging seinen tödlichen Fehler.
Am 1. Mai 408 war Arcadius in Konstaninopel gestorben und Stilichos Agenten
waren emsig dabei, die Thronfolge im Sinne des großen Heeresmeisters zu
manipulieren. Zuletzt zettelte Stilicho sogar einen Krieg gegen Konstantinopel
an. Damit war er endgültig zu weit gegangen. Durch abgefeimtes Intrigenspiel
überzeugten oströmische Mittelsmänner Honorius davon, daß
Stilicho ein Verräter sei und nichts anderes im Sinne habe, als ihn, Honorius,
zu stürzen.
Der Sturz Stilichos erfolgte jäh und gründlich: er wurde hingerichtet.
Zwei Monate danach stand Alarich vor Rom ...
Angst und Haß auf die Goten brodelten in Rom, mit Grauen ahnte man die
drohende Katastrophe.
"Diese Barbaren, bisher brauchbare Diener unseres Hauses wollen nun unseren Staat beherrschen! Wehe, wenn ihre Heere und Führer sich empören und ihre zahlreichen Landsleute, die als Sklaven im ganzen Reich verstreut sind, zu ihnen strömen."
Vielleicht ist es Panik gewesen, die den römischen Senat dazu veranlaßt
hat, Stilichos Witwe Serena der Verschwörung mit Alarich zu beschuldigen.
Panik, weil Alarich die Stadt belagerte, weil die Lebensmittel zur Neige gingen
und die Stimmung immer verzweifelter wurde. Was aber hat Galla Placidia veranlaßt,
die Verurteilung Serenas zu fordern? Hatte sie Beweise für den Verrat Serenas,
Beweise, die wir heute nicht mehr kennen? Wurde sie von Senatoren getäuscht?
Oder hatte sie persönliche Gründe, Serena tödlich zu hassen?
Serena wurde hingerichtet - vielleicht zu Recht, wahrscheinlich aber zu Unrecht.
Sollte irgendwer gehofft haben, Alarich werde nun von einer Eroberung der ewigen
Stadt absehen, da seine vermeintliche Verbündete tot war, so sah er sich
getäuscht. Am 24. August 410 n. Chr. geschah das Unfaßbare: Rom wurde
von den Westgoten erobert. Wie ein Buschfeuer raste die Nachricht durch das
Imperium. Unsagbares Entsetzen, tiefste Depression erfüllte die Menschen.
Viele empfanden die Eroberung der Stadt als Unglück, so wie der Kirchenlehrer
Hieronymus im fernen Judäa: "Schreckliche Nachrichten erreichen
uns aus dem Westen. Rom ist erstürmt worden. Die Menschen erkaufen sich
das Leben mit Gold. Obwohl ausgeplündert, werden sie immer noch gehetzt
und müssen, nachdem sie ihren Besitz verloren haben, vielleicht mit dem
Leben bezahlen. Meine Stimme stockt und mein Schluchzen unterbricht jede meiner
Äußerungen. Die Stadt, die sich einst eine ganze Welt unterworfen
hat, ist eingenommen worden."
Für Galla Placidia wurde die Eroberung Roms zum persönlichen Schicksal.
Man kann sich ihre Panik ausmalen, als die Goten in ihr Haus eindrangen. Für
Flucht war es zu spät, kein Flehen half, man zwang sie, ins Gotenlager
mitzugehen. Alarich, so heißt es, habe sie ehrenvoll behandelt, aber eine
Freilassung der wertvollen Geisel kam nicht in Frage.
Kaiser Honorius, der sich störrisch geweigert hatte, mit Alarich auch nur
zu verhandeln, reagierte hilflos auf den Fall Roms und die Entführung seiner
Schwester. Sein Verdienst war es also ganz und garnicht, daß die Goten
Rom nach drei Tagen wieder verließen. "Gott liebt es, auch schwachen
Menschen, wenn sie nicht böse sind, in der höchsten Not zu helfen."
Wie sehr hatte sich Galla Placidia vor den Goten gefürchtet! Nun aber stellte sich heraus, daß ihr das Leben bei diesem Wandervolk garnicht so schrecklich erschien! Es dauerte nicht lang und sie fing an, die Goten zu mögen. Mit Sicherheit war ihr Leben freier und interessanter als in der strengen Zurückgezogenheit, zu der sie in Rom gezwungen war. Kein Wunder, daß sie in dieser ungebundenen Atmosphäre auch eine besondere Zuneigung zu einem Mann faßte. Der gutaussehende, scharfsinnige Athaulf, einer der gotischen Unterführer, faszinierte sie wie noch niemand zuvor.
411 n. Chr. starb Alarich in Süditalien. Athaulf wurde zu seinem Nachfolger
gewählt. Der neue König war ein konzilianter, nachdenklicher Mann.
Ihm ging es nicht um Eroberung, sondern lediglich um Siedlungsgebiete für
seine Goten.
Es sind nicht zuletzt die langen Gespräche mit Galla Placidia gewesen,
die Athaulf seine ursprüngliche Romfeindlichkeit genommen hatten. Der kulturelle
Hintergrund der Kaisertochter beeindruckte ihn tief. Schließlich entwickelte
er eine eigene politische Vision:
"Zuerst war es mein heißer Wunsch, den Namen der Römer auszulöschen
und das römische Reich in ein gotisches Reich zu verwandeln. Aus Romania,
wie man es gemeinhin nennt, sollte Gotia werden. Athaulf sollte an die Stelle
des Caesar Augustus treten. Aber lange Erfahrungen lehrten mich, daß die
wilde Barbarei der Goten sich mit den Gesetzen nicht in Einklang bringen ließ.
Ohne Gesetz gibt es keinen Staat. Ich entschloß mich daher zu dem ruhmreichen
Vorhaben, das Ansehen Roms in seiner ganzen Integrität wiederherzustellen
und es durch die Macht der Goten zu stärken. Ich hoffe, als Erneuerer Roms
in die Geschichte einzugehen, denn es ist nicht möglich, an seiner Stelle
etwas Neues aufzubauen."
Athaulf versprach Kaiser Honorius, mit den Goten friedlich in der Gegend um
Bordeaux zu siedeln und bat den Kaiser um Saatgut. Die Forderung, Galla Placidia
auszuliefern, wies Athaulf allerdings zurück. Honorius wollte seine Schwester
mit seinem neuen Heeresmeister verheiraten, wovon dieser, ein Mann namens Flavius
Constantius, begeistert war. Denn da Honorius unverheiratet und außerdem
kinderlos war, - der Hof von Ravenna klatschte genüßlich über
seine Impotenz -, würde die Hand Galla Placidias eine gewisse Aussicht
auf den weströmischen Kaiserthron bedeuten.
Galla Placidia aber wollte den verschlossenen, mürrischen, vielleicht sogar
tyrannischen Constantius nicht heiraten. Sie wollte Athaulf... und sie bekam
ihn!
Im Januar 414 n. Chr. jubelte ganz Narbonne dem Brautpaar zu. Zu Ehren seiner Frau ließ Athaulf die Hochzeitsfeierlichkeiten ganz auf römische Art abhalten. Im Haus eines römischen Bürgers war ein Thron für die Kaisertochter aufgebaut, neben ihr nahm Athaulf in römischer Gewandung in einer Reihe mit den übrigen Festgästen Platz. Schwungvoll wurden drei lateinische Hochzeitsgedichte vorgetragen, - schließlich wollte Athaulf seiner Frau zeigen, daß er zwar ein Gote war, aber auch über Bildung verfügte.
"Unter anderen Geschenken führte Athaulf fünfzig in prächtige Seidengewänder gehüllte junge Männer vor Galla Placidia. Jeder übergab ihr zwei große Silberschalen gefüllt mit Gold und Edelsteinen, die Teil der Beute waren, die bei der Eroberung Roms ergattert waren. Die ganze Feier erweckte größte Freude und Vergügen, sowohl bei den Barbaren, als auch bei den anwesenden Römern."
Das politische Verhältnis zwischen den Goten und dem Hof in Ravenna blieb allerdings schwierig. Nach Honorius' Willen sollten die Goten in Aquitanien siedeln, doch die Quertreiberei des unversöhnlichen Constantius machte jede friedliche Lösung unmöglich. Schließlich zogen die Goten weiter in den Süden über die Pyrenäen nach Spanien, wohl mit dem Ziel, irgendwann in die Kornkammer Africa zu gelangen.
Im November 414 brachte Galla Placidia in Barcelona einen kleinen Theodosius zur Welt. So groß ihre und Athaulfs Freude anfangs war, so grenzenlos schien ihr Jammer, als der Junge einen Monat später starb. Unter großer Anteilnahme der Goten wurde das Kind in der Mauer einer Kirche außerhalb von Barcelona begraben.
Ein halbes Jahr nach dem Tod des Kindes wurde Athaulf von einem persönlichen Feind ermordet. Wie betäubt hörte Galla Placidia, wie ...
"... Athaulf auf seinem Totenbett dem Bruder befahl, Placidia an die Römer zurückzugeben, und, wenn es irgend möglich wäre, für Freundschaft mit Rom zu sorgen."
Viele Goten hatten Athaulfs Politik als demütigend und Galla Placidia als Fremdkörper empfunden. In den zähen Verhandlungen zwischen den neuen gotischen Führern und Kaiser Honorius wurde ihre Rückgabe an Ravenna zuletzt doch erzwungen.
Von Geheimagenten eskortiert, verließ Galla Placidia das Volk, in dessen Mitte sie jahrelang gelebt hatte. Was mag sie empfunden haben, als sie das letzte Mal in die Gesichter der Gotenführer blickte, ihre Blicke zum letzten Mal über das riesige geschäftige Lager schweiften? Vielleicht ging der glücklichste Teil ihres Lebens in diesem Moment zu Ende. Athaulf und die Goten, das war Vergangenheit; die Zukunft hieß Ravenna, Honorius und ... Constantius.
Honorius zwang Galla Placidia, seinen Heeresmeister zu heiraten; er brauchte dessen militärische Macht. Anfang des Jahres 417 n. Chr. war Galla Placidia also wieder verheiratet und sehr unglücklich. Ihr neuer Gemahl war ihr zutiefst unsympathisch.
"Beim Gehen schlug Constantius die Augen nieder und zeigte ein mürrisches Gesicht. Er hatte große Augen, einen langen Hals und einen breiten Schädel. Er beugte sich weit nach vorn über den Hals des Pferdes, auf dem er saß und blickte aus den Augenwinkeln nach links und rechts, um allen zu zeigen, daß er, wie man sagt, eine Erscheinung war, die eines Autokraten würdig ist."
Zwei Kinder bekam Galla Placidia von Constantius: eine Tochter, Justa Grata
Honoria, und endlich, am 2. Juli 419 den ersehnten Sohn Valentinian. Wenig später
ernannte Honorius Constantius zum Mitkaiser und verlieh Galla Placidia den Titel
Augusta. Die Gotenkönigin war zur römischen Kaiserin geworden und
der "hochedle Knabe" Valentinian rückte in die Stellung des Thronfolgers.
Am 2. September 421 n. Chr. wurde Galla Placidia von ihrer unglücklichen
Ehe erlöst. Constantius starb an einer Rippenfellentzündung.
Galla Placidia hat wahrscheinlich nicht allzu sehr um ihren Mann getrauert.
Bald bedrängten sie schlimmere Sorgen. Der Hof summte vor Klatsch und Tratsch,
als ihr eigener Bruder Honorius ihr nachzustellen begann.
"So groß war die Zuneigung des Honorius zu seiner Schwester, daß
ihre unziemliche Leidenschaft und ihr fortwährendes Auf-den-Mund-Küssen
sie in den Augen vieler Leute in schändlichen Verdacht brachte."
Schließlich blieb Galla Placidia nichts anderes mehr übrig, als die Flucht zu ergreifen. Sie ging nach Konstantinopel an den dortigen Kaiserhof.
Galla Placidia mit ihren Kindern Valentinian und Honoria
Das Problem erledigte sich aber von selbst als Honorius am 26. August 423 n. Chr. an Wassersucht starb. Jetzt traten dafür sämtliche Gegner Galla Placidias auf den Plan. Erst einmal hielt man Honorius' Tod vor ihr geheim, um sie und ihren Sohn Valentinian mattzusetzen. Dann ließ der mächtigste Gegner Galla Placidias, der oberste Heeresmeister in Ravenna, einen Gegenkaiser inthronisieren. Auch der oströmische Kaiser beteiligte sich an diesem Verrat. Als allerdings der berühmte Feldherr Flavius Aetius im Auftrag des Gegenkaisers hunnische Truppen rekrutierte, wendete sich das Blatt. ... Hunnen im Reich? Da wollte Konstantinopel dann doch lieber Galla Placidia und Valentinian in Ravenna herrschen lassen. Der Gegenkaiser verlor seinen Kopf und Aetius stand fortan auf der Seite Galla Placidias. In großem Gepränge zog sie in Ravenna ein. Jetzt war sie nicht nur dem Namen nach Kaiserin, jetzt regierte sie wirklich als Stellvertreterin ihres Sohnes. Nach Recht und Gesetz und sehr verantwortungsbewußt, wie es ihre Art war. Sie erklärte: "...daß der Kaiser sich durch Gesetze gebunden erklärt, ist eine Einstellung, die seiner Majestät Ehre macht; so sehr hängt Unsere Autorität von den Gesetzen ab; und in der Tat ist der Umstand, daß die kaiserliche Regierung dem Gesetz unterworfen ist, wichtiger als die kaiserliche Macht selbst."
Galla Placidias besondere Neigung galt religösen und kirchlichen Angelegenheiten. Nicht umsonst nannte man sie immer wieder: "... die frömmste und ausdauernste Kaiserinmutter."
Bei den langwierigen, oft ermüdenden innerkirchlichen Streitereien, bei
denen es um theologische und oft auch politische Fragen ging, redete sie mit,
fragte, regte an, und oft entschied sie auch.
"Wir glauben, daß wir uns des Religionsfrevels schuldig machen,
wenn wir die heilige Ordnung leugnen. ... Wir erkannten, daß in unserer
Zeit der katholische Glaube in Verwirrung und Unklarheit geraten ist, jener
Glaube, den die Vorfahren unseres Geschlechts bis dahin seit unserem göttlichen
Vater Konstantin bewahrt hatten. ... In allem müssen wir dem Glauben den
ersten Rang einräumen. Die christliche Religion hat die Welt in die Obhut
der Sittlichkeit gegeben. Sie hat sie unserer Herrschaft anvertraut, auf daß
sie durch uns regiert und bewahrt werde."
Valentinian, der Sohn Galla Placidias, eignete sich wenig für das Amt des Kaisers. Für seine Mutter war es sicher ein großer Kummer, daß er zur Bequemlichkeit neigte und Klugheit ebenso vermissen ließ wie Tatkraft. Und das schwer bedrängte Imperium hätte jetzt mehr denn je einen starken, entschlußfreudigen Herrscher gebraucht.
Militärisch stützte sich Galla Placidia deshalb ganz auf ihre Generäle, allen voran Aetius. Aetius war buchstäblich der letzte Bremsklotz gegen den Untergang des Reichs: er kämpfte in Gallien gegen die eindringenden Franken, gegen die Burgunder in Savoyen, gegen aufständische Franken und vor allem hielt er die Hunnen von Italien fern, vor den das ganze Imperium zitterte.
"Das Volk der Hunnen übertrifft in seiner Wildheit jede Vorstellung. Sie alle besitzen feste, starke Glieder und einen kräftigen Hals und sind dabei unvorstellbar häßlich und mißgestaltet."
Über die Hunnen herrschte seit dem Jahr 434 n. Chr. König Attila, die bei den Christen sogenannte "Geißel Gottes".
"... ein großer Kopf, dunkle Gesichtsfarbe, kleine tiefliegende
Augen, eine platte Nase, ein spärlicher Bart, breite Schultern, klein und
untersetzt, kräftig gebaut, aber unproportioniert. Der stolze Gang und
die hochmütige Haltung des Königs der Hunnen drückten aus, daß
er sich allen anderen Menschen überlegen fühlte und er hatte die Gewohnheit,
wild mit den Augen zu rollen, als freute er sich an dem Schrecken, den er den
Menschen einflößte."
Aetius kannte Attila von Kindesbeinen an, er selbst war als Geisel am Hunnenhof
aufgewachsen und jeder in Ravenna, die Kaiserin eingeschlossen, vermutete, daß
nur diese Beziehung Italien vor einem grauenvollen Blutbad bewahrte.
Ausgerechnet Galla Placidias Tochter Honoria bot schließlich dem Hunnenkönig Attila den Vorwand, das Westreich anzugreifen, nachdem er schon verheerende Einfälle in die Osthälfte des Imperiums unternommen hatte. Honoria hatte keine besonders glückliche Kindheit verlebt, ihre Mutter hatte sich wenig um sie gekümmert. Zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, die Interessen ihres Sohnes wahrzunehmen. Genau diesen Interessen war Honoria dann geopfert worden, als man ihr das Gelübde der Jungfräulichkeit abverlangte. Niemand anderes als die Nachkommen Valentinians sollten künftig Anspruch auf den Thron erheben können. Ein zu schweres Los für die lebenslustige Honoria. Sie wurde bei einem Liebesabenteuer erwischt und nach Konstantinopel verbannt, wo ihre prüde Verwandtschaft sie fürderhin streng bewachte. Honoria wußte nicht ein noch aus. Sie unternahm eine regelrechte Verzweiflungstat: über einen geheimen Kurier bot sie dem Hunnenkönig Attila ihre Hand an. Das konnte natürlich nicht verborgen bleiben und ganz Ravenna raste vor Empörung über diesen Landesverrat. Aber das Unglück war bereits geschehen: Attila verlangte Honoria und ganz Gallien als Mitgift obendrein. Das bedeutete fieberhafte Verhandlungen und dann doch: Krieg.
Es war Galla Placidia, die sich mit ihrer ganzen Autorität dafür einsetzte, daß Honoria mit dem Leben davonkam. Honorias Bruder, Kaiser Valentinian, hätte sie vermutlich ohne mit der Wimper zu zucken hinrichten lassen. Stattdessen wurde die unselige Honoria eilig mit einem unbedeutenden Mann verheiratet und verschwand für immer hinter den Palastmauern.
Kurz nach diesem tragischen Familienskandal, der Galla Placidia schwer erschüttert
hatte, starb sie am 27. November 450 n. Chr. in Rom. Für sie war es sicher
ein Glück, daß sie nicht mehr miterleben mußte, wie fast alles,
wofür sie gekämpft hatte, kurz danach in Stücke fiel. Aetius
konnte die Hunnen zwar besiegen, aber er selbst stürzte bald danach durch
eine Palastintrige. 455 n. Chr. wurde Galla Placidias Sohn Valentinian ermordet,
in demselben Jahr, in dem die Vandalen Rom eroberten und weitgehend zerstörten.
Zwanzig Jahre später
hörte das weströmische Reich auf zu bestehen.
Das Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna